Krankenhausreform als geordneter Strukturwandel?

Das deutsche Gesundheitssystem mit seinen ganz unterschiedliche Interessen verfolgenden Playern sowie mit seinen über die Jahre gewachsenen, immer weiter wuchernden, inzwischen eher dysfunktionalen und ineffizienten Strukturen, ist ein Fall für die Notaufnahme. Deutschland hat zwar das teuerste Gesundheitswesen Europas – immerhin geben wir 15 Prozent unseres Bruttosozialprodukts für die medizinische Versorgung aus – liegt aber bei einschlägigen Qualitätskriterien wie Lebenserwartung, Mobilität im Alter und Herz-Kreislauf-Gesundheit im hinteren Mittelfeld. Wir haben mehr Krankenhausbetten als andere EU-Länder, die Auslastung beträgt aber nur 68 Prozent. Allein aufgrund des Pflegemangels können 20 Prozent der Betten nicht belegt werden. Pflege- wie auch Ärztemangel  sind nur ein Indikator für ein sieches und bürokratisch überreguliertes System, in dem viele Menschen Erfahrungen zur Genüge mit überfüllten Praxen und Notaufnahmen, langen Wartezeiten, verschobenen Operationen oder fehlenden Medikamenten gemacht haben. Unabweisbar besteht ein hoher Reformbedarf im gesamten Gesundheitssystem. Angesichts der komplexen Krise und der zahlreichen Baustellen stellt sich die Frage: Wo beginnen?

Als einen ersten größeren Schritt hat vor zwei Jahren Gesundheitsminister Karl Lauterbach die Reform der Krankenhauslandschaft in Angriff genommen. Bereits 2019 hatte eine Studie der Bertelsmann Stiftung ergeben, dass eine Reduzierung der Klinikanzahl zu einer besseren medizinischen Versorgung führen würde. Denn viele Krankenhäuser sind zu klein und verfügen oftmals nicht über die nötige Ausstattung und Erfahrung, um beispielsweise Herzinfarkte oder Schlaganfälle angemessen zu behandeln. Eine Neuordnung der Krankenhauslandschaft muss laut Studie vor allem das Ziel verfolgen, die Versorgungsqualität zu verbessern.

Lauterbach knüpft daran an. Er setzte eine 17-köpfige, vorwiegend aus Medizinern, Ökonomen und Juristen bestehende „Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ ein, die innerhalb eines halben Jahres Empfehlungen für eine Neuordnung erarbeitete. Kritisiert wurde sogleich die überwiegend aus Wissenschaftlern bestehende Zusammensetzung der Kommission. Weder Bundesländer noch Krankenhäuser noch Praktiker waren in der Kommission vertreten. Widerstände gegen die Empfehlungen waren damit vorhersehbar. Besonders die Nicht-Einbeziehung der Länder  war sicherlich kein diplomatisches Meisterstück.

Der zentrale Punkt des Reformkonzepts der Kommission zielt auf das Zurückdrängen der Fallpauschalen. Der wirtschaftliche Druck habe zu falschen Prioritäten geführt. Nun solle die Medizin wieder in den Mittelpunkt gerückt werden, so Lauterbach. Allerdings ist dies nicht der erste Versuch über die Änderung der Finanzierungsgrundlagen mehr medizinische Qualität und zugleich mehr wirtschaftliche Effizienz in den Kliniken zu erreichen.

Mit dem Inkrafttreten des Gesundheitsreformgesetzes (GRG) im Januar 1989, damals unter Federführung des Sozialministers Norbert Blüm, wurde die ehemals kommunale Verantwortung für die Krankenhäuser dem Gesundheitsmarkt überlassen, nicht zuletzt um den Wettbewerb zu fördern. Damit verdrängte die Wirtschaftlichkeit des einzelnen Krankenhauses den Versorgungsbedarf als wichtigstes Steuerungsinstrument. Der Ressourcenverteilungskampf in der Wachstumsbranche Gesundheitsmarkt war eröffnet. Der Leistungsgedanke wurde stark verändert und dies zu Lasten der besonders Bedürftigen. Durch Leistungswegfall, Leistungskürzungen, Zuzahlungen und den Verzicht auf die solidarische Finanzierung medizinisch überflüssiger Leistungen sollte eine Einschränkung auf medizinisch Notwendiges erreicht werden. Die Finanzierung der Leistungen bot den Kliniken jedoch ein Schlupfloch. Wenn ein Patient auf der Station lag, bekam die Klinik für jeden Tag seines Aufenthalts Geld von der Krankenkasse, immer den gleichen Satz. Der Aufwand – ob Herz- oder Hüftoperation – spielte finanziell nicht die entscheidende Rolle. Das war teuer, denn viele Patienten lagen überdurchschnittlich lange in Kliniken. Eine Reform sollte Abhilfe schaffen. Das Fallpauschalensystem wurde 2004 unter der früheren Gesundheitsministerin Ulla Schmidt eingeführt. Lauterbach galt damals als ihr „Einflüsterer“. Das neue System sollte einen Anreiz schaffen, Patienten möglichst zügig wieder zu entlassen. Fortan zählte nicht mehr die Aufenthaltsdauer, sondern aufwendige Behandlungen waren lukrativ.

Das System der Fallpauschalen animiert dazu, so viele Menschen wie möglich durch die Stationen und OP-Säle zu schleusen, die Patienten mit möglichst vielen Diagnosen auszustatten, frühzeitig Eingriffe vorzunehmen, die Apparatemedizin so häufig wie möglich einzusetzen, Laboruntersuchungen durchzuführen und Röntgenbilder machen zu lassen, nicht weil es in jedem Fall medizinisch geboten, sondern weil es profitabel ist. Wer im Krankenhaus behandelt wird, muss damit rechnen, dass wirtschaftliche Aspekte über die Therapie bestimmen. Die Ärzte sind teil dieses Systems, das Primat des Geldes gilt auch für sie, auch wenn vielleicht einige ethische Bedenken haben.

Was durch das Fallpauschalensystem zu Überversorgung führt, führt in der Kindermedizin zur Unterversorgung. Denn ökonomisch betrachtet ist die Kindermedizin ein Verlustgeschäft. Inzwischen gibt es ein Drittel weniger stationäre Betten als in den 1990ern, was zur Folge hat, dass Kinder auch schon mal stationär nicht aufgenommen werden können.

Gesundheit ist kommerzialisiert bis in die Behandlung hinein. Die ungezügelte Ökonomisierung führt zu profitorientierten Klinikketten und von Investoren betriebenen Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) mit teilweise unbekannten Besitzverhältnissen und der Tendenz zur Monopolisierung. Aus der medizinischen Daseinsvorsorge ist – zumindest in Teilen – Investorenmedizin geworden.

Das Fallpauschalensystem hat eklatante Fehlanreize gesetzt. Lauterbach will mit seiner Reform den Einfluss der Fallpauschalen auf die Klinikfinanzen entscheidend reduzieren  und so ökonomischen Druck aus dem System nehmen. Künftig sollen 60 Prozent der Mittel als sogenannte Vorhaltekosten, also Ausgaben für Personal und Geräte, vergütet und 40 Prozent anhand der Fallzahlen abgerechnet werden. Die Finanzierung der Vorhaltekosten ist allerdings ebenfalls an Fallzahlen geknüpft. Mit dieser Regelung sollen Krankenhäuser und hier vor allem weniger  lukrative Fachbereiche wirtschaftlich entlastet werden. Das Krankenhaus soll für Renditejäger unattraktiver werden.

Lauterbach hatte ferner vorgesehen, dass alle Krankenhäuser in bestimmte Stufen eingeteilt werden sollten: Grundversorger, z.B. kleine Kliniken auf dem Land, die tatsächlich nur die Grundversorgung übernehmen, Regelversorger, die spezielle Behandlungen durchführen und Maximalversorger, wie etwa Universitätskliniken. Darüber hinaus sollen vornehmlich kleine Krankenhäuser in Gesundheits- und Versorgungszentren umgewandelt werden mit Ärzten, die auch operieren  und Akutpflegebetten für die wohnortnahe Nachsorge. Denn, so Lauterbach, mehr Eingriffe als bisher können ambulant erfolgen. Die Länder  sahen darin einen Angriff auf ihre Planungshoheit und wandten sich per Rechtsgutachten gegen die Versorgungsstufen. Lauterbach ließ daraufhin diese Kategorisierung fallen. Krankenhäuser sollen künftig 65 genau definierten Leistungsgruppen, wie zum Beispiel Kardiologie, Notfallmedizin, Infektiologie zugeordnet werden; sie bilden medizinische Leistungen ab und dienen damit u.a. als Instrument einer leistungsdifferenzierten Krankenhausplanung. Über alle Leistungsgruppen hinweg sind vorgegebene Qualitätskriterien festgelegt, wie die personelle und sächliche Ausstattung, die als infrastrukturelle Mindestvoraussetzungen für die Leistungserbringung gelten. Weitere Qualitätsparameter sollen erst im nächsten Jahr durch zustimmungspflichtige Rechtsverordnungen zwischen Bundesgesundheitsministerium und Bundeländern geregelt werden, was nicht unbedingt den Eindruck des Bürokratieabbaus vermittelt.

Die sächliche Ausstattung definiert Gerätschaften, die am Standort verfügbar sein müssen, die personelle Ausstattung beinhaltet die Mindestvorgabe an Fachärzten und deren Qualifikationen. Nur wenn die Bedingungen einer Leistungsgruppe erfüllt sind, darf diese Leistungsgruppe auch vorgehalten und dürfen die Leistungen auch erbracht werden.  Zugleich werden Leistungsgruppen als Kriterium für die Zuordnung einer Vorhaltevergütung genutzt. Konkret heißt das, dass ein kleines Krankenhaus in Zukunft komplexe Erkrankungen nicht mehr behandeln darf, wenn es nicht entsprechend ausgestattet ist, d.h. über die jeweils erforderlichen medizinischen Geräte und über die notwendige Anzahl an Fachärzten sowie die erforderlichen Patientenzahlen verfügt. Die Komplexität der Verschränkung von Fallpauschalen alter Prägung und neuen Vorhaltepauschalen mit Fallzahlbezug wird dazu führen, dass kleine Krankenhäuser in der Fläche nicht ausreichend gegenfinanziert sind. Krankenhausschließungen sind dabei  ein durchaus erwünschter Effekt, was allerdings -vor allem bedingt durch den Fachärztemangel –  zu regionaler Unterversorgung führen dürfte.

In dem dahinterliegenden Zielkonflikt zwischen schneller Erreichbarkeit und qualitativ hochwertiger Versorgung, etwa von Herzinfarkt- und Schlaganfallpatienten, hat die Reformkommission  für eine hochwertige Versorgung plädiert. Lauterbach hat im Zusammenhang mit der Abstimmung des Gesetzes im Bundesrat noch einmal Druck aufgebaut und darauf hingewiesen, dass 10.000 Tote vermeidbar wären, würden alle Krebspatienten in spezialisierten Kliniken behandelt.

Die Neustrukturierung der Krankenhauslandschaft soll das Gesundheitssystem leistungsstärker und effizienter machen. Mehr als 600 Häuser haben weniger als 100 Betten, das sind zu viele, zu kleine Häuser, die Schwierigkeiten haben mit dem medizinischen Fortschritt Schritt zu halten und für aufwendige Behandlungen nicht ausgestattet sind. Nicht nur für diese ist die Frage der Finanzierung besonders dringlich. 80 Prozent der deutschen Kliniken machen Verluste und ein Drittel ist insolvenzgefährdet. Dabei zeigen sich je nach Trägerschaft eklatante Unterschiede. 90 Prozent der öffentlich-rechtlichen Häuser rechnen mit einem Verlust, 53 Prozent der frei-gemeinnützigen, aber nur 20 Prozent der privaten. Monatlich entsteht ein Minus von 500 Millionen; das strukturelle Defizit der Krankenhäuser summiert sich auf 15 Milliarden. Verschiedene Faktoren haben sich zu einer toxischen Gemengelage addiert: explodierende Energiepreise und steigende Personalkosten, Inflation,  mangelnde Auslastung, Einbußen durch die Pandemie, Investitionsstau durch vernachlässigte Investitionsverpflichtungen der Länder.  Ohne Reform droht ein Strukturwandel durch Insolvenzen und daraus folgend ein Gesundheitsnotstand in einigen Regionen.

Nachdem Bundestag und Bundesrat zugestimmt haben, tritt die Reform planmäßig zum 1. Januar 2025 in Kraft. Umgesetzt wird sie nach und nach bis 2029. Geplant ist, dass die Länder ihre Kliniken bis Ende 2026 den jeweils vorgesehenen Leistungsgruppen zuweisen. Die Finanzierung soll dann 2027 und 2028 schrittweise auf das neue System umgestellt werden. Zuvor hatte Gesundheitsminister Lauterbach noch Zugeständnisse gemacht. Der Bund bezahlt jetzt auch Operationen in Kliniken, die die vorgeschriebenen Quoren für Fachärzte und Mindestfallzahlen nicht erfüllen, sofern diese Häuser unverzichtbar sind, um eine wohnortnahe Versorgung sicherzustellen. Diese Sicherstellungsregel wird so zum Rettungsanker für leistungsschwächere Häuser. Besonders für dünn besiedelte Regionen ist das essenziell.

Um den Wandel zu den neuen Strukturen zu unterstützen soll ein mit 50 Milliarden ausgestatteter Transformationsfonds kommen, aus dem von 2026 bis 2035 bis zu 25 Milliarden des Bundes fließen, sofern sich die Länder in jeweils gleicher Höhe beteiligen. Kommen soll das Geld aus Mitteln der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherungen. Die Kliniken und die Länder fordern noch weitere schnelle Finanzspritzen, denn bis die Reform vollständig greift, fehlt etlichen Kliniken Geld und die Befürchtung ist, dass einige Häuser durch die schrittweise greifende Reform  nicht mehr zu retten sind.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat trotz heftigen Gegenwindes die Krankenhausreform auf den Weg gebracht. Erstmals sind einheitliche Grundlagen für die Krankenhausplanung in 16 Bundesländern geschaffen. Sein Ziel, mit knapper werdenden Ressourcen die Versorgung der Bevölkerung zu garantieren, den wirklich benötigten Häusern eine auskömmliche wirtschaftliche Basis zu sichern und mehr Spezialisierung bei komplexen Eingriffen sicherzustellen, hat er erreicht. Bei seiner Reform hat er medizinische, ökonomische und strukturelle Aspekte zusammengebracht. Grundlagen für eine verbesserte Infrastruktur gelegt zu haben, können sich angesichts von Wohnungsmangel und maroden Schienennetzen und Brücken nicht so viele Ministerien rühmen. Darüber hinaus hat er ein Transparenzregister mit Daten über die Versorgungsqualität veröffentlicht, das als Wegweiser durch den Krankenhausdschungel fungiert. Patienten sollen anhand ausgewählter Daten selbst entscheiden können, wo sie sich operieren lassen. Die erst Version des Transparenzregisters war zwar unbrauchbar, die zweite immer noch verbesserungswürdig, aber auf Sicht ist ein Transparenzregister zweifellos ein nützliches Instrument.

Nicht durchdekliniert hingegen ist die als erforderlich angesehene Ambulantisierung.  Kleine Häuser können sich mit finanzieller Unterstützung zu Gesundheits- und Versorgungszentren entwickeln. Darüber hinaus gibt es keine Regeln und keine Strukturen. Geradezu gegenläufig dazu wirkt eine andere Regelung, die Eingang ins Gesetz gefunden hat. Bei Flächenversorgungsnotstand können Länder Standorte zu „sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen“ erklären, die wohnortnahe stationäre Behandlung mit ambulanten und pflegerischen Leistungen verbinden. Wo Praxen von Fach- und Hausärzten fehlen, sollen Patienten zukünftig auch ins Krankenhaus gehen können. Der Hausärzteverband sieht darin eine Einschränkung der hausärztlichen Versorgung: „Statt dafür zu sorgen, dass es in Zukunft noch ausreichende Hausarztpraxen gibt, will die Politik die Menschen in den betroffenen Regionen lieber direkt in Kliniken schicken.“

Kritisiert wird Lauterbach auch, weil er eine von Politik und Verbänden geforderte Wirkungsanalyse zu seiner Reform bisher nicht vorgelegt  und weil er nicht dargelegt hat, wie viele Krankenhäuser letztlich schließen müssen. Aus Bundesperspektive ist dies allerdings auch kein leichtes Unterfangen, zumal wenn er versuchen würde die Wirkung bis auf einzelne Regionen  herunterzubrechen. Denn die Länder sind für die Krankenhausplanung zuständig und die Kommunen entscheiden über Neubauten und Fusionen von Kliniken. Ebenso fehlt ein kurzer Ausblick auf die zukünftige Kliniklandschaft. So steigt beispielsweise der Bedarf an stationärer Versorgung angesichts einer alternden Bevölkerung, während der Generationenwechsel bei den Ärzten den Ärztemangel weiter vergrößern wird. Nach Berechnungen der Beratungsfirma PWC können 2035 in Deutschland 1,8 Millionen offene Stellen im Gesundheitswesen nicht mehr besetzt werden. Interessant wären auch Szenarien, die sich mit medizinischen und gesellschaftlichen Veränderungen beschäftigen, die z.B. durch den Einsatz von KI, die Akademisierung der Pflegeberufe oder die durch die elektronische Patientenakte veränderten Behandlungsketten eintreten würden. Lauterbach setzt mit seiner Reform darauf, dass die erwarteten Wirkungen eintreten und hat keinen zwischenzeitlich aktivierbaren Steuerungsmechanismus oder gar einen Korrekturhebel eingebaut.

Steuern sollen den Wandel die für die Krankenhausplanung zuständigen Länder; allerdings hat eine strategische Krankenhausplanung in den letzten Jahren kaum stattgefunden. Die Länder können etwa sagen, ob es in einer Region zwei oder drei Standorte für Wirbelsäulenchirurgie gebe, so die Einlassung des Gesundheitsministers. Die Sicherstellungspflicht und damit den gesetzlichen Versorgungsauftrag haben aber die Kommunen. Auf städtischer oder Landkreisebene wird ausgetragen, ob kleine Häuser schließen müssen, ob es zu Zusammenlegungen oder einen Neubau kommt

Etliche Landkreise haben sich in der Vergangenheit bereits auf den Weg gemacht und zwei oder drei kleine Krankenhäuser geschlossen und dafür ein gut ausgestattetes zentrales Klinikum gebaut. Im Landkreis Weilheim-Schongau haben sich 2022 die Bürger in einem Bürgerentscheid gegen den Bau eines Zentralkrankenhauses ausgesprochen und für den Weiterbetrieb der defizitären Häuser in Weilheim und Schongau.. Die Kreispolitik stellt das vor ein Dilemma: Ein zentrales Krankenhaus soll es nicht geben, beide kleinen Häuser sind  insolvenzgefährdet und ein nicht wirtschaftlich zu betreibendes Haus kann man nicht über einen Bürgerentscheid retten. Krankenhausversorgung ist ein emotional aufgeladenes Thema. Ein Krankenhaus in der eigenen Stadt zu wissen, gibt vielen Menschen Sicherheit. Aus dem medizinischen Blickwinkel ist das Krankenhaus um die Ecke aber nicht immer die beste Lösung. Denn bei Schlaganfällen – von 1700 Krankenhäusern haben 340 eine zertifizierte Schlaganfalleinheit – ist in vier von fünf Fällen das nächste Krankenhaus die falsche Wahl; beim Herzinfarkt in zwei von drei Fällen. In Schongau ist 2024 im Übrigen aus dem Krankenhaus ein regionales Versorgungszentrum gemacht worden. Das Beispiel zeigt, dass medizinisch und wirtschaftlich vernünftige Lösungen schiefgehen können, wenn die Bevölkerung sie nicht akzeptiert.

Mit seiner Krankenhausreform folgt Gesundheitsminister einem Optimierungsleitbild: ökonomisch, medizinisch, strukturell. Medizin wird nach betriebswirtschaftlichen Vorgaben und Kriterien der Kosteneffizienz organisiert. Privatisierung, Monopolisierung und Profitorientierung werden von der Reform nicht ernsthaft berührt. Die Perspektive der Patienten findet sich in der Diskussion kaum wieder. Abläufe stehen im Vordergrund, nicht die Kranken. Das geschieht zu Lasten von Zuwendung, Empathie und Vertrauen. Zu fordern wäre, dass eine Reform der Kranken(haus)versorgung sich dem Vorrang des Gemeinwohls und der Patientendienlichkeit verpflichtet. Andernfalls verfehlt sie ihren ethischen und moralischen Auftrag.

 

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