Europa hat gewählt, in der Mehrheit proeuropäisch, aber mit beachtlichen, teilweise dramatischen Zuwächsen für europakritische, fremdenfeindliche und nationalistische Parteien, wie die Front National in Frankreich oder die Ukip in Großbritannien. Setzt sich dieser Trend fort, droht die Europäische Union von innen ausgehöhlt und zerstört zu werden, zweifellos mit Folgen für Jobs und Wohlstand.
Die rechtspopulistischen Parteien bieten einfache Lösungen für komplexe Probleme. Ihre Rezepte kommen in Zeiten der Unsicherheit, Entwurzelungserfahrungen und Ängste erzeugenden Globalisierung und angesichts der anhaltenden Finanz- und Wirtschaftskrise gut an: Weniger Einwanderer, mehr Schutz für heimische Konzerne, weniger Einmischung aus Brüssel und raus aus der Europäischen Union. Dahinter steht die Idee, durch nationale, ethnische oder rassische Homogenität gesellschaftliche Probleme lösen zu können. Es ist die Sehnsucht nach einer vermeintlich besseren Vergangenheit.
Nationalistische und fremdenfeindliche Vorurteile fallen auch deshalb auf fruchtbaren Boden, weil die Sparpolitik zu Ungleichgewichten zwischen dem Norden und dem Süden Europas geführt hat; mit hoher Arbeitslosigkeit, wegbrechenden Mittelschichten und sozialen Miseren im Süden und einer florierenden Wirtschaft, vor allem in Deutschland, im Norden. Der Verteilungskonflikt führt zu einer Entsolidarisierung der Nationen und stellt ein vereintes Europa in Frage. In einem solchen Klima haben nationalistische Töne leichtes Spiel. Die rechtspopulistischen Parteien können sich für dieses Wahlgeschenk bedanken.
Hinzu kommt nun noch das Theater um den designierten ( ?) Kommissionspräsidenten Juncker. Wird er vom neuen Parlament gewählt oder heben die europäischen Regierungschefs eine(n) andere(n) in den Sattel? Sind wir auf dem mühsamen Weg in ein vereintes Europa oder setzen sich nationalstaatliche Interessen durch?
Europaenthusiasten haben außer dem moralischen Bekenntnis zu Europa und der Idee der europäischen Integration den Rechtspopulisten nicht wirklich etwas entgegen zu setzen. Was könnte hilfreich sein für ein Szenario des vereinten Europa?
Handfeste wirtschaftliche Verbesserungen in den Ländern im Süden sind erforderlich, möglicherweise auch finanzielle Unterstützung für Länder wie Frankreich und Italien durch Deutschland.
Gegen die Fremdenfeindlichkeit tut kluge Integrationspolitik Not. Eine Reform der europäischen Flüchtlingspolitik ist überfällig. Bisher ist für Asylsuchende jeweils der EU-Staat zuständig, den die Flüchtlinge als erstes erreichen. Diese Regelung bürdet den Mittelmeeranrainern enorme Lasten auf. Das ist nicht länger zumutbar.
Es braucht ein europäisches Parlament, in dem nicht nur die Mitte-Rechts- und die Mitte-Links-Fraktionen zusammen Mehrheitsentscheidungen treffen, sondern sich mit allen Fraktionen auseinandersetzen, diskutieren, streiten, sich der Komplexität stellen und Alternativen entwickeln, denn es fehlt eine Erzählung, die die Schnelligkeit, Komplexität und Verwobenheit der europäischen Integration auf politische Begriffe bringt.
In dem Erstarken der rechtspopulistischen Parteien liegt auch eine Chance, so jedenfalls Jürgen Habermas: „Der Rechtspopulismus erzwingt die Umstellung vom bisherigen Elitemodus auf die Beteiligung der Bürger.“