Nach den fürchterlichen Anschlägen in Paris erklärt der französische Präsident Hollande dem IS den Krieg. Eine starke Reaktion! Die Rede vom Krieg ist allerdings ziemlich problematisch.
Kriege werden traditionell zwischen Staaten ausgetragen. Dem IS den Krieg zu erklären, heißt, den IS als Staat anzuerkennen. In gewisser Weise ist es eine fast schon fahrlässige Reaktion, denn ihr liegt implizit die Annahme zugrunde, im Krieg die Befreiung von jedweder Gewalt und von allem Terror zu sehen. All jene Kriege, die in den vergangenen Jahren im Namen von Demokratie, Befreiung und Gerechtigkeit geführt wurden, führten jedoch zu zerfallenden Staaten ohne stabile politische Institutionen. Ob in Afghanistan, im Irak, in Syrien oder in Libyen, überall sind die Folgen zu besichtigen. Krieg als Instrument der Befriedung und Befreiung ist dort gescheitert. Ohne UN-Mandat, ohne eine über das rein Militärische hinausgehende Strategie wird der Krieg in Syrien lediglich zu einem weiteren Drehen an der Eskalationsschraube führen.
Das martialische Gehabe des französischen Präsidenten befriedigt vorhandene, durchaus nachvollziehbare Racheimpulse in der Bevölkerung und es steigert nebenbei seine Popularitätswerte. Es ist zugleich aber eine Projektion, die von den Versäumnissen der französischen Politik ablenkt. Die Attentäter kamen aus Frankreich und Belgien, Migranten in der 2. Generation, aufgewachsen in den Banlieues französischer und belgischer Städte. Ausgeschlossen von sozialer Teilhabe, ohne Perspektiven, mit einem ausgeprägten Kränkungspotenzial und mit Hass auf ihr Land haben sie sich radikalisiert und für sich den Ausweg im Dschihadismus gesucht. Der Blick auf diese inneren Problemlagen Frankreichs wird durch die Fokussierung auf den Kriegseinsatz in Syrien völlig überlagert.
Auch wenn der Terrorismus sich mit Sicherheit nicht gewaltlos stoppen lässt, dürfte die Überzeugung, den IS allein mit geballter militärischer Wucht zu besiegen, trügerisch sein. Wo bleiben (begleitende) nicht-militärische Strategien? Dazu würde gehören, den IS zu isolieren, seine Geldquellen auszutrocknen, die finanzielle Unterstützung durch arabische Staaten zu unterbinden, keine Waffenlieferungen mehr, kein Abkaufen des Erdöls, durch die UN gesicherte Schutzzonen für Flüchtlinge in Syrien etc. Dabei stößt man auf einen schier unentwirrbaren Knoten von sich widersprechenden und überlappenden religiösen, finanziellen und machtpolitischen Interessen. Ohne die politischen und gesellschaftlichen Folgen zu bedenken, generieren wir mit den Bombardements weiteres Leid unter der Zivilbevölkerung, neue Flüchtlingsströme sowie weitere Terrorakte in Europa. Planvolles Agieren sieht anders aus.
Bisher haben wir in Deutschland und Europa an der Peripherie eine Krieges gelebt, dessen Auswirkungen wir durch die Millionen Flüchtlinge spüren. Durch den Einsatz von Tornados in Syrien schliddern wir für eine nicht absehbare Zeit in einen Krieg hinein. Die Kriege im Nahen und Mittleren Osten werden auch zu unseren Kriegen. Dabei wird in Kauf genommen, dass die Standards in der EU verkommen. Der türkische Präsident Erdogan wird hofiert, obwohl er die Menschenrechte verletzt und die Pressefreiheit einschränkt, auch Polen schränkt die Pressefreiheit ein und entmachtet die Judikative, ganz zu schweigen von Ungarns Orban. Im Kampf gegen den Terror zieht Europa sogar eine Allianz mit Assad ins Kalkül. Soweit zur europäische Wertegemeinschaft. Die durch die Anschläge in Paris entfachte realpolitische Sogwirkung sieht nur Krieg als Instrument der Befriedung und fegt bedenkenlos die Wirkungen des Krieges beiseite mit unabsehbaren Folgen für Deutschland und Europa.