Ungleichheit und Rechtspopulismus befördern gesellschaftliche Antagonismen

In seiner Ausgabe vom 12.03.2016 titelt „Der Spiegel“: „Die geteilte Nation. Deutschland 2016: Reich wird reicher, arm bleibt arm“ und von Marcel Fratzscher, Chef des DIW, erscheint das Buch: „Verteilungskampf. Warum Deutschland immer ungleicher wird“. Die gleichlautende Diagnose: Der Graben zwischen Armen und Reichen befindet sich auf dem extremsten Stand seit Jahrzehnten.

Fratzscher stützt seinen Befund auf drei Argumente. Erstens seien die Vermögen in keinem anderen Land der Eurozone ungleicher verteilt. Die ärmere Hälfte besitze insgesamt nur 2,5 Prozent des gesamten Nettovermögens, während den Top-10-Prozent knapp 60 Prozent des gesamten Nettovermögens gehöre. In kaum einem anderen Land Europas besäßen die reichsten 10 Prozent größere Vermögenswerte. Zweitens klaffe die Schere auch bei Einkommen zunehmend auseinander. Der Anteil der Hälfte der Deutschen am Einkommen beträgt 22,6 Prozent, während 10 Prozent einen Anteil von 36,8 Prozent haben. Und drittens kritisiert Fratzscher die geringe Mobilität. Aus der Schicht, in die man geboren wird, gibt es kaum ein Entkommen. Am stärksten ausgeprägt ist dies bei den oberen und den unteren 10 Prozent. Darin manifestiert sich eine krasse Chancenungleichheit.

Eine OECD-Studie stellt heraus, dass Deutschland die ungleiche Verteilung ökonomisches Potenzial kostet. Wäre sie gerechter, könnte das Bruttoinlandsprodukt um sechs Prozent höher ausfallen. Denn Ungleichheit ist ökonomisch schädlich, weil sie die Konsumnachfrage dämpft und die Chancen der weniger Privilegierten hemmt.

Bereits 1973 hatten Bernt Engelmann und Günter Wallraff in ihrem berühmt gewordenen Buch: „Ihr da oben – wir da unten“ auf das Ausmaß des Widerspruchs zwischen der Anhäufung von Reichtum und Macht der wenigen und der Abhängigkeit und Ausnutzung der vielen aufmerksam gemacht. Vor mehr als 15 Jahren ergab eine Allensbach-Studie, dass die Mehrheit der Deutschen den Eindruck habe, es gehe nicht mehr gerecht zu. Wenn es ein zur Gewissheit gewordenes Gefühl ist, dass es nicht gerecht zugeht, besteht die Gefahr, dass  die Legitimität des gesamten politischen Systems sinkt und das allgemeine Ungerechtigkeitsgefühl  in eine Verachtung des Staats und der Politik umschlägt.

Es ist natürlich ebenso leicht zu bewerkstelligen wie grob gedacht, die Verantwortung auf die Eliten zu schieben, die nur für die wenigen etwas tun. Die Gesellschaft wird in zwei antagonistische Gruppen geteilt, in die da oben und wir hier unten. Elitekritik ist die wohl wichtigste Strategie vieler Populisten. Der Kampf gegen die Eliten  macht auch den Kern des AfD-Gefühls aus, das sich aus jahrelangen Gefühlen der Verbitterung, diffuser Perspektivlosigkeit und fehlender Aussicht auf eine bessere Zukunft speist. Die so generierte Stimmung scheint momentan einen gesellschaftlichen Nerv zu treffen, mindestens bei einem Teil der Bevölkerung. Dabei werden einfache Lösungen für gesellschaftliche Probleme angeboten, das Schwarz-Weiß-Denken hat die Oberhand. Angesichts kaum zu beeinflussender komplexer Faktoren, wie der Globalisierung oder der rasanten technologischen Entwicklung, erscheint dies schon ein wenig abenteuerlich.

Mit der Absicht, bei dem Thema Flüchtlinge dem gesellschaftlichen Antagonismus („Für die macht ihr alles, für uns macht ihr nichts“) entgegenzuwirken und einem Rechtsruck vorzubeugen, hat Sigmar Gabriel sich für ein Sozialprojekt eingesetzt und im Haushalt 2017 Mehrausgaben für eine aktive Arbeitsmarktpolitik sowie Investitionen in den Kitaausbau und den Wohnungs- und Städtebau durchgesetzt. Allerdings ist dieser gut gemeinte Ansatz nicht unproblematisch. Denn verfestigte Perspektivlosigkeit lässt sich nicht mit ein paar politischen Beschlüssen beenden, zumal wenn man die erhofften Wirkungen auf der Zeitachse bedenkt. Auch werden sich mit Sozialpolitik allein weder  Ressentiments noch  Rechtspopulisten zurückdrängen lassen. Kritik kommt auch aus den eigenen Reihen: „Jedoch wollen wir kein Solidarprojekt, weil die AfD gewählt wurde, sondern weil alle hier lebenden Menschen nicht erst mit der Wahl der AfD eine Recht auf soziale Gerechtigkeit und Teilhabe haben“.

Doch was ist zu tun?  Steuererhöhungen als Mittel der Umverteilung waren in der Vergangenheit nicht mehrheitsfähig. Investitionen in Bildung steigern zwar die Kapazität der gesamten Volkswirtschaft, häufig bleibt es aber in der Praxis beim Appell. Chancengleichheit ist häufig propagiert worden, kommt aber beispielsweise bei den Schulabschlüssen, nur zäh voran. Dabei ist doch aus Studien bekannt, je ungleicher Gesellschaften, desto mehr leiden sie unter Rassismus, Gewaltverbrechen und Angst. In Spaltungen und Antagonismen liegt folglich nicht die Lösung. Man weiß eigentlich, was getan werden müsste, doch es fehlt die Vorstellung (?), der Wille (?) es zu tun, hoffentlich nur bis zu dem Punkt an dem die Demokratie keinen Schaden nimmt.

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