Amokläufer, Terroristen – alles psychisch Kranke?

Seit den Anschlägen in Ansbach, München und Würzburg wird viel über die Motive der Täter spekuliert. Dahinter steht der Wunsch, die Tat erklären zu können und die Gedankenwelt des Täters zu verstehen. Wenn die Ursachen auf mögliche psychische Störungen reduziert und ausschließlich personifiziert werden, entsteht jedoch ein schiefes Bild. Die Sozialisation, die Familie und das direkte soziale Umfeld des Täters bleiben außen vor. Die Krankheitsthese verkennt gesellschaftliche Strukturen und den Einfluss der Gruppe; paradoxerweise macht sie Schuldfähige zu Schuldunfähigen.

Eine gestörte Persönlichkeit spielt bei Amokläufern zweifellos eine gewichtige Rolle, denn eine gesunde Person kann oft schwerste Konflikte irgendwie abfedern, weitere Faktoren müssen für eine Gewalttat hinzukommen. Eine einfache Kausalbeziehung zwischen einer psychischen Störung und den Gewalttaten in Ansbach, München und Würzburg herzustellen, ist nicht zulässig. Das gilt insbesondere für die mehrfach in der Presse als ursächlich genannten Depressionen. Denn darin dokumentiert sich eine falsche Einschätzung, da Depressive handlungsgehemmt sind und in aller Regel nicht aggressiv agieren. Die Folge ist eine Stigmatisierung der wirklich Kranken.

Pfeiffer, Schmidbauer u.a. machen schulische Misserfolge, gestörte Familienbeziehungen, erlittene Demütigungen, Verzweiflung und Ohnmacht als auslösende Momente bei Amokläufern aus. Durch die Gewalttat versprechen sich diese die bisher versagte Aufmerksamkeit und Anerkennung. Terroristische Gewaltakte sind hingegen politisch, ideologisch oder religiös motiviert und mit entsprechenden Heilserwartungen und Botschaften verbunden. Doch egal ob Terror oder Amok, der Täter möchte sich groß inszenieren.

Bandelow unterscheidet den narzisstischen (will als Held in die Geschichte eingehen), den antisozialen (nimmt die Ideologie als Deckmantel für das Töten) und den paranoiden (fühlt sich von aller Welt verfolgt) Terroristen. Antriebsmomente sind neben möglichen individuellen – die dann u.U. im Bekenntnis zum IS nobilitiert werden – kollektive Demütigungen. Die daraus entwickelt Opferrolle wird verbunden mit moralischer Überlegenheit als Legitimation, die Entscheidung über Leben und Tod Anderer zu fällen. In dem System, in dem sich der Täter bewegt, gilt sein Verhalten als normal, ja sogar als heldenhaft. Man denke nur an die Vielzahl der Selbstmordattentäter des IS. Offensichtlich normal war es im NS-System Tausende Juden zu erschießen oder zu vergasen. Man muss also nicht unbedingt als psychisch krank gelten oder es sein, um die schrecklichsten Dinge zu tun. Eine Ideologie oder Religion entlastet den Einzelnen, legitimiert grausamste Taten und unterlegt sie zudem mit Sinn, gleichsam die Sinnstiftung der Sinnlosigkeit.

Folge der nicht nur auf Deutschland bezogenen Terror- und Gewaltakte ist Verunsicherung in der Bevölkerung sowie der Eindruck, dass Gewalt unberechenbar ist und jeden treffen kann, so dass vorübergehend der Moment des Schreckens dominiert. Insofern ist es wichtig zu differenzieren, nicht vorschnell in Schubladen zu denken und die stets auf solche Gewaltakte folgende Forderung nach einem umfänglichen Ausbau der Sicherheitsarchitektur kritisch zu verfolgen. Denn es erscheint sinnvoll, die Gewalttaten im psychischen, sozialen und gesellschaftlichen Kontext zu betrachten und es erscheint angebracht, auf vereinzelte Amokläufe oder Attentate anders zu reagieren als auf eine die ganze Gesellschaft gefährdende Situation.

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