Krisen überall – einfache Antworten als Lösung?

Brexit, Ausnahmezustand mit Massenverhaftungen in der Türkei, Euro- und Finanzkrise, der schwelende Ukraine-Konflikt, der Anschlag von Nizza, die bewusste Bombardierung der Krankenhäuser in Aleppo, die erkaufte Abschiebung von Flüchtlingen nach Afghanistan, der islamistische Terrorismus… dies ist nur ein Ausschnitt des weltweiten Geschehens aus den vergangenen Wochen. Medial sind wir zeitnah immer mit dabei. Nicht nur in der Zusammenballung wirkt das Geschehen irreal und irrational. Überfordern schon singuläre Ereignisse den einzelnen, so ist die Komplexität und die schnelle Taktfolge der Ereignisse kaum noch psychisch und emotional zu verarbeiten. Weltbilder verändern sich in rasanter Geschwindigkeit, vertraute Muster und Werte brechen weg, Gewalt bricht in die zwischenmenschlichen Beziehungen und in die gesellschaftlichen Verhältnisse ein. Der gesellschaftliche Wandel und das in Teilen als bedrohlich wahrgenommene weltweite Geschehen führen zu tiefgreifender Verunsicherung. Wen wundert’s, wenn Realitätsverdrängungen und Realitätsfluchten zunehmen.

Wenn zur Identitätsunsicherheit noch ökonomisch begründete Abstiegsängste und Gefühle des Abgehängtseins hinzukommen, wächst die Sehnsucht nach einfachen Antworten. Einfache Lösungen reduzieren die Komplexität. Auf der politischen Bühne kehren autoritäre Weltbilder zurück. Fungieren Putin und Orban hier als Trendsetter?  Spannend wird sein, zu beobachten , ob und wie autoritäre Denk- und Verhaltensmuster in Politik, Verwaltungen und Unternehmen einsickern oder vorhandene Muster wiederbelebt werden.

Es wächst auch die Sehnsucht – möglicherweise als ein Reflex des Sich-Schützens – nach nationaler Abschottung  gegenüber dem ganzen Unbill dieser Welt, gegen Globalisierung,   fortschreitende Digitalisierung, etc. Das Klima begünstigt eine nach innen gerichtete Politik. Der Nationalstaat wird propagiert oder  krasser eine ethisch homogene Nation gefordert, diametral entgegengesetzt zu einer offenen Gesellschaft.

In diesem Kontext wirkt die Flüchtlingskrise als beschleunigendes und verstärkendes Moment. Der Feind ist das Fremde. Digitalisierung lässt sich nicht personifizieren, der Asylbewerber schon; er gerät in die Rolle des Sündenbocks, auf ihn werden Hass und Wut projiziert und das Ganze wird noch aufgeladen mit dem islamistischen Terrorismus. Es geht um Migration und Integration und zugleich um die Angst vor dem Verlust der eigenen Identität. Neu ist allerdings die Qualität der Auseinandersetzung, die nicht nur verbale zwischenmenschliche Brutalität, sondern,  wie menschenverachtende Maßnahmen ganz offen dargeboten werden, etwa, wenn Pegida auf einer Demonstration einen Galgen mit sich führt. Rational ist ein Teil dieser Menschen nicht mehr zu erreichen. Alles was nicht dem eigenen Standpunkt entspricht, wird zur Lügenpresse erklärt. So entsteht eine  eigene, demokratiefeindliche Realität. Offen ist, welche Wirkungsmacht Pegida oder in seiner verflüssigten Form, die AFD, auf die Gesellschaft hat und umgekehrt, wie die Gesellschaft mit den Herausforderungen umgeht.

Die Risse in unserer Gesellschaft nehmen zu, werden tiefer und haben durchaus Zerstörungskraft: die bis in die Mittelschicht reichenden Abstiegsängste, die ungelöste soziale Ungleichheit, die Zunahme autoritärer Denk- und Verhaltensmuster, die bis in die Individuen hineinreichende Spaltung zwischen Humanität und Abwehr der Flüchtlinge, die „rette sich, wer kann“ Ideologie der Populisten, die ihr Spiegelbild bei den Eliten findet, die ihren Wohnsitz in Monaco nehmen und ihr Vermögen nach Panama schaffen; genug Potenzial für schwierige Zeiten oder: auch die Herausforderungen werden komplexer. Den einfachen Antworten  ist der Pluralismus der Weltdeutungen entgegenzuhalten, mit dem ein Pluralismus der Lebensweisen korrespondiert.

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