Die Schattenseiten der Globalisierung und die Flüchtlingskrise haben Deutschland verändert

Über mehr als zwei Jahrzehnte war die Globalisierung der stärkste wirtschaftliche Treiber. Die Öffnung der Märkte, der Abbau von Zöllen und die Abschaffung von Grenzkontrollen innerhalb Europas erleichterte den Austausch von Waren und Dienstleistungen. Der Finanzkapitalismus war weltweit erfolgreich auf der Jagd nach Renditen. In Deutschland profitierten vor allem Konzerne, hochqualifizierte Beschäftigte und Verbraucher. Es gab jedoch auch Verlierer in dem Prozess der Globalisierung, der in den letzten Jahren zunehmend mit der Digitalisierung verwoben ist: Arbeitslose, Menschen im Niedriglohnbereich und in prekären Beschäftigungsverhältnissen, die untere Mittelschicht.

Die Globalisierung hat die soziale Spaltung in Deutschland verstärkt und zunehmende Ungleichheit produziert. Die Kluft zwischen arm und reich ist seit 1998 in Deutschland tiefer geworden. Wenn ein Dax-Vorstand bis zu 141 mal so viel wie ein Normal-Beschäftigter bekommt und wenn im Schulsystem immer noch die Herkunft entscheidet, Schule so zur wachsenden Ungleichheit beiträgt, wird vielen klar, dass keine Chancengerechtigkeit herrscht.  IWF-Chefin Christine Lagarde hat die Ungleichheit in den reichen Ländern kritisiert und die Regierungen aufgefordert, mehr für Arbeitnehmer mit mittleren und unteren Einkommen zu tun, weil andernfalls der Widerstand gegen Globalisierung, freien Handel und fortschreitende Digitalisierung weiter zunehme. Dahinter steckt die Furcht, dass die Verlierer der Globalisierung die Abschottung ihrer Länder einfordern. Sarah Wagenknecht nimmt für die Linke den Kontrollverlust der Politik gegenüber dem international agierenden Kapitalismus auf. Sie will die Märkte einschränken und den europäischen Staaten ihre Währung wiedergeben. Sie redet damit einer nach innen gerichteten Politik und einer wirtschaftlichen Abschottung das Wort. Die Gefahr besteht wohl aber eher darin, dass Protektionismus und Abschottung wirtschaftliche Probleme verschärfen und schnurstracks in die nächste Krise führen.

Zu diesen sozialen Verwerfungen kommen seit der Jahrtausendwende als größere Entwicklungen auf der politischen Bühne der überwiegend islamistisch geprägte Terror, die Finanz- sowie die Flüchtlingskrise hinzu, die das Unwohlsein in Teilen der Bevölkerung potenzieren. Globalisierung, Digitalisierung, Terror, Finanz- und Flüchtlingskrise treten in ihren Folgen in der individuellen Wahrnehmung quasi gleichzeitig auf und verstärken vorhandene Bedrohungsängste. Starke Abschottungstendenzen, wirtschaftlich wie politisch, sind die Folge. Für Flüchtlinge ist da kein Platz. Rechtsradikale und Rechtspopulisten propagieren das Homogene, Reine und Völkische; sie steuern auf eine geschlossene, autoritär geführte Gesellschaft zu und erwecken den Eindruck, damit wären alle Probleme gelöst. Heute  ist jedoch kein Nationalstaat  in der Lage, die globalen Probleme der Wirtschafts- und Finanzkrisen, des Klimawandels, der Migrationsbewegungen und des Terrorismus allein zu bewältigen.

In ihrer viel beachteten Dankesrede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels hat sich Carolin Emcke gegen menschenfeindliche Einstellungen gewandt, Einstellungen, die sich bereits bis in die Mitte der Gesellschaft hineingearbeitet haben und von Parteien aufgesogen werden.  Emcke setzt eine liberale, offene Gesellschaft dagegen, die sich für die Freiheit des einzigartigen,  abweichenden  Individuellen einsetzt.

Weder SPD noch Linke haben, wie es vielleicht zu erwarten gewesen wäre, sich der Befindlichkeiten der Globalisierungsverlierer und sozial Benachteiligten angenommen, haben die Desintegrationsängste, Verunsicherungen und Herabsetzungen sowie das zerstörte Systemvertrauen nicht hinreichend registriert, sondern in dieser Hinsicht eher einen politischen Autismus an den Tag gelegt. Pegida und AfD haben es geschafft, die individuellen Ohnmachtsgefühle und Rückzüge in kollektive Machtgefühle zu verwandeln und Globalisierungsverlierern u.a. eine positive soziale Identität zu bieten. Die  daraus resultierenden gesellschaftlichen Folgen, wie massive Abschottungstendenzen und fremdenfeindliche Einstellungen, gepaart mit einem Hass auf die Eliten,  sind gerade zu besichtigen; sie schärfen andererseits auch den Sinn für die Fragilität einer Gesellschaft.

Die Erkenntnis, etwas für die sozial Abgehängten und Benachteiligten zu tun, dürfte inzwischen bei den Regierungsparteien angekommen sein. Die soziale Frage wird wieder zum Thema. Angesichts der Konkurrenz der unterschiedlichen Politikfelder Bildung, innere Sicherheit und Modernisierung der Infrastruktur um Mittel und Ressourcen ist eine gewisse Skepsis ob der Renaissance des Sozialstaats erlaubt.

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