Ungleichheit gefährdet Wirtschaft und Demokratie

Ungleichheit ist derzeit eines der meist diskutierten Probleme. Um sie anschaulich zu machen, helfen Vergleiche: Acht Milliardäre besitzen mehr Vermögen als 3,6 Milliarden Menschen, die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung. Dem reichsten Prozent der Weltbevölkerung gehört mehr als die Hälfte des globalen Vermögens; umgekehrt besitzt die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung nur 0,16 Prozent des globalen Vermögens. Diese Aussagen enthält eine – nicht ganz unumstrittene – Studie der Entwicklungsorganisation Oxfam, die auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos vorgestellt wurde. Laut Studie besitzen in Deutschland 36 Milliardäre so viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung.

Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) stellt fest: Die Ungleichheit in Deutschland wächst, das Armutsrisiko steigt. Seit der Wiedervereinigung ist die deutsche Wirtschaftsleistung um mehr als ein Fünftel gestiegen. Doch nicht alle Haushalte haben davon profitiert; die ärmsten verfügen heute über weniger Geld als 1991. Während das verfügbare Einkommen der obersten zehn Prozent um knapp 27 Prozent kletterte, mussten die ärmsten 10 Prozent der Haushalte einen Einkommensverlust von acht Prozent hinnehmen. Damit steigt das Armutsrisiko. In den 90ern lagen noch etwa 11 Prozent der Deutschen unterhalb der Armutsschwelle, 2016 waren es bereits 16 Prozent. Auch Arbeit schützt nicht mehr vor Armut, jedenfalls nicht bei Tätigkeiten im Niedriglohnsektor. Die Sorge um die persönliche Lebensperspektive steigt, nicht nur bei den absolut Armen. Daher werden die Rufe nach wirtschaftlichen und politischen Hebeln gegen die gestiegene Ungleichheit zunehmend lauter; sie kommen u.a. von der Industrieländerorganisation OECD und vom Internationalen Währungsfonds (IWF). Denn es gibt in Europa kaum noch ein Land, in dem nicht eine hohe Unzufriedenheit zu finden ist. Christine Lagarde, die IWF-Chefin, konstatiert eine tiefe Vertrauenskrise, in der die Mittelschicht in den westlichen Industrieländern steckt. Viele Menschen in der Mittelschicht sind desillusioniert über die Zukunft, über die Jobperspektiven für ihre Kinder und über die Sicherheit. Und Larry Summers, einst Finanzminister unter Bill Clinton, attestiert, die Menschen in der Mittelschicht hätten den Eindruck, dass die Politik für jeden kämpft, für die Armen, für die Reichen, für die Flüchtlinge oder die Menschen in den Entwicklungsländern, aber nicht für sie.

In einem Report für das Weltwirtschaftsforum in Davos stellen 750 Fachleute aus Politik, Unternehmen und Forschung fest, dass Ungleichheit und Polarisierung bereits zu politischen Umbrüchen geführt haben. Beispielhaft werden der Brexit, Trump und der zunehmende Nationalismus genannt. Die Fachleute sehen direkte Gefahren für den Parlamentarismus und fragen, ob die Krise der großen Volksparteien und damit zusammenhängend der Aufstieg einstiger Randparteien in den westlichen Demokratien nicht auch eine tiefere Krise der Demokratie widerspiegelt. Für sie steht das (erfolgreiche) Wirtschaftsmodell der vergangenen 20 Jahre auf dem Spiel.

Ungleichheit dürfe aber nicht nur als ein nationales Phänomen betrachtet werden, so der Ökonom Branko Milanovic. Er wurde mit der „Elefanten-Kurve“ berühmt, mit der er seine globale Betrachtung illustriert. Sie zeigt, wie sich die weltweite Einkommensverteilung zwischen 1988 und 2008 verändert hat. Ihren Namen verdankt sie ihrer Form, die an einen Elefanten erinnert, der seinen Rüssel hebt. Die Einkommen der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung sind innerhalb dieser 20 Jahre deutlich gestiegen, am stärksten in der Mitte der Verteilung – dort befindet sich der Buckel des Elefanten. Rechts davon, auf Höhe des Kopfs, fällt die Kurve fast auf Null zurück und steigt entlang des Rüssels für die obersten zehn Prozent der Einkommen wieder scharf an, vor allem für das reichste Prozent.

Die größten Profiteure der Globalisierung sind danach die Menschen der Mittelschicht in Schwellenländern, wie China, Indien oder Brasilien und die absolut Reichsten der Welt. Dort, wo die Kurve nahe Null liegt, findet man die untere Mittelschicht in Industrieländern wie den USA, Japan und Deutschland. Zu den relativen Verlierern gehört also auch die ärmere Hälfte der Bevölkerung in Deutschland. Die Globalisierung hat, so das Fazit, millionenfach Armut beseitigt, sie hat aber auch in den westlichen Industrieländern die Lücke zwischen Reichen und Armen auf nationaler Ebene vergrößert. So sieht denn auch die Anti-Establishment-  und Anti-Eliten-Politik in den westlichen Industrieländern die Ursache für die Verschlechterung der Aussichten am heimischen Arbeitsmarkt zumeist in der Globalisierung und wettert, wie Marine Le Pen, gegen den Freihandel. Sie will, wie auch Donald Trump, die Globalisierung zurückdrehen und verbindet dies mit nationalistischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Untertönen. Der „Erfolg“ der Abschottungspolitik und des Protektionismus wird demnächst in den USA zu besichtigen sein.

Ein „Weiter-so“dürfte angesichts des fehlenden Wirtschaftswachstums auch keine Lösung sein, um gegen Ungleichheit und Unzufriedenheit erfolgreich zu bestehen. Bleibt: Mehr Umverteilung auf der Ebene der Nationalstaaten. Zur Verringerung der Ungleichheit gibt es ein ganzes Arsenal an sozialinvestiven Maßnahmen und Vorschlägen, die im Bildungs- Sozial- und Steuersystem  zu Verbesserungen führen sollen. Allein, es gibt bisher kein politisches Konzept.

Dabei zeichnet sich mit dem fortschreitenden technologischen Wandel, mit der Digitalisierung, mit künstlicher Intelligenz und Robotik  –  bei allen damit verbundenen Chancen – bereits der Stoff für eine weitere Polarisierung der Gesellschaft ab.

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