Mit 2.7 Millionen lag die Zahl der Arbeitslosen 2016 im Schnitt auf dem niedrigsten Stand seit 25 Jahren. Allerdings stagniert die Zahl der Langzeitarbeitslosen seit Jahren bei rund einer Million. Ein unbefriedigender Zustand. Dies ist kaum verwunderlich, denn die vom BMAS aufgelegten Programme haben sich in der Vergangenheit durch die Bank als mehr oder weniger untauglich erwiesen.
Die verfehlte Herangehensweise des BMAS soll zunächst an einem anderen, nicht für Langzeitarbeitslose bestimmten Arbeitsmarktprogramm gezeigt werden, den Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen (FIM). Das sind Arbeitsgelegenheiten bei staatlichen, kommunalen oder gemeinnützigen Trägern für Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive. Jährlich sollen 100.000 Plätze gefördert werden. Beteiligt sind drei Akteure: der jeweilige Maßnahmeträger, die Agentur für Arbeit, die die Maßnahmen bewilligt und abrechnet sowie die nach dem AsylblG zuständige Behörde, die die Teilnehmer zuweist.
Zu kritisieren ist, dass das Arbeitsmarktprogramm FIM Parallelstrukturen zu den Arbeitsgelegenheiten nach § 5 AsylblG schafft. Das Verfahren ist aufwendig, da die BA als zusätzlicher, im Bereich des AsylblG allerdings unzuständiger Verfahrensbeteiligter eingebaut ist. Zudem ist das gesamte Prozedere sehr bürokratisch ausgestaltet; das Antrags-, Bewilligungs- und Nachweisverfahren ist umständlich und kompliziert. Besser wäre es gewesen, die Mittel entweder den Städten und Landkreisen als Träger des AsylblG zur Verfügung zu stellen oder das Programm ausschließlich als SGB III-Maßnahme umzusetzen. Erfolgreich ist FIM auch nicht, denn von den zur Verfügung gestellten 100.000 Plätzen sind derzeit nur etwa 11.000 belegt. Und die Laufzeit des Programms bis zum 31.12.2020 ist angesichts ständig sinkender Asylbewerberzahlen nicht nur für Experten ein ziemliches Rätsel. Spätestens Ende 2018 dürfte sich diese Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen erledigt haben.
Für Langzeitarbeitslose ausgelegt sind die Programme ‚Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt‘ und das ‚ESF-Förderprogramm zum Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit‘. Beide Programme zusammen sollen etwa 40.000 Leistungsberechtigte erreichen, mithin einen verschwindend geringen Teil der Langzeitarbeitslosen. Bei dem Programm ‚Soziale Teilhabe‘ konzentriert sich die Förderung auf zwei Gruppen mit besonderen Problemlagen: Leistungsberechtigte, die wegen gesundheitlicher Einschränkungen besonderer Förderung bedürfen und Bedarfsgemeinschaften mit Kindern. Gefördert werden Arbeitsverhältnisse, die zusätzlich und wettbewerbsneutral sind und im öffentlichen Interesse liegen. Die Förderung je Arbeitsplatz beträgt bis zu 1.370 Euro pro Monat bei 30 Wochenstunden. Flankiert wird das Programm durch beschäftigungsbegleitende Aktivitäten, um die teilnehmenden Personen zu stabilisieren und ihre Chancen auf eine Beschäftigung am allgemeinen Arbeitsmarkt zu verbessern.
Mit dem ‚ESF-Förderprogramm‘ sollen arbeitsmarktferne langzeitarbeitslose Leistungsbezieher in den allgemeinen Arbeitsmarkt integriert werden. Erreicht werden soll das durch gezielte Betriebsakquise, intensives Coaching nach Beschäftigungsaufnahme sowie durch finanziellen, degressiv ausgestalteten Ausgleich der individuellen Minderleistung an den Arbeitgeber (Lohnkostenzuschüsse). Im Rahmen des Programms werden bei den Jobcentern Betriebsakquisiteure für 24 Monate tätig, um Arbeitgeber für die Zielgruppen zu öffnen, Stellen zu akquirieren und langzeitarbeitslose Menschen bei der Suche nach einem geeigneten Arbeitgeber zu unterstützen.
Beide Arbeitsmarktprogramme werden bisher nur äußerst zögerlich in Anspruch genommen, so dass das BMAS nachsteuern und Veränderungen gegenüber den ursprünglichen Konzeptionen vornehmen musste. Bei dem Programm ‚Soziale Teilhabe‘ wurden zum 01.01.2017 über die 105 beteiligten Jobcenter weitere 90 Jobcenter zugelassen, bei dem ‚ESF-Bundesprogramm‘ u.a. die förderfähige Zielgruppe erweitert. Die Änderungen der Förderrichtlinie zum ‚ESF-Bundesprogramm‘ sind kleinteilig, die vorgegebenen Anforderungen nicht leicht zu erfüllen und sie führen zu einem deutlichen Mehraufwand an Bürokratie. Generell führt der mit den Bundesprogrammen verbundene Projektcharakter zu Befristungen und zu Sonderstrukturen in den Jobcentern. So war es bereits bei den Programmen für Alleinerziehende, für Migranten und für die über 50-jährigen. Zudem trägt das Herausheben einer Zielgruppe als eingeschränkt leistungsfähig zur Stigmatisierung der Bewerber im Unternehmen bei.
Zusätzlich zu den Bundesprogrammen will das Land Niedersachsen mit einem Landesprogramm zum Abbau von Langzeitarbeitslosigkeit in der Zeit vom 01.07.2017 bis zum 31.12.2019 1.000 Arbeitsplätze schaffen. Es sollen sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse (ohne Beitrag zur Arbeitslosenversicherung!) sein, die zusätzlich, im öffentlichen Interesse liegen und wettbewerbsneutral sind. Pro geschaffenen Arbeitsplatz wird eine Prämie von 5.000 Euro zur Verfügung gestellt und ein Zuschuss bis zu 75% als Minderausgleich gezahlt, der im Laufe der Jahre degressiv abgeschmolzen wird. Zielgruppe sind Langzeitarbeitslose mit mindestens drei vermittlungsrelevanten Hemmnissen sowie in der Bedarfsgemeinschaft lebende minderjährige Kinder. Ein Coaching für langzeitarbeitslose Leistungsberechtigte und ihre Familien gehört mit zum Programm. Auf den Landkreis Peine entfallen gerade mal 10 Plätze(Bedarfsgemeinschaften).
Die Ausweitung auf die gesamte Bedarfsgemeinschaft ist zu begrüßen. Allerdings sind die Bausteine des Programms nicht neu, sondern Versatzstücke aus Bundesprogrammen. Bekannt sollte inzwischen auch sein, dass selbst Lohnkostenzuschüsse von 100 % nur zögerlich in Anspruch genommen werden. Die herkömmlichen arbeitsmarktpolitischen Instrumente leisten nur einen geringen Beitrag zur Integration von Langzeitarbeitslosen. Heinrich Alt, ehemaliges Mitglied des Vorstandes der BA, resümiert die bisherigen Anstrengungen in den Jobcentern ebenso nüchtern wie ernüchternd: „Weder die intensive Beratung, noch die Förderung im Rahmen arbeitsmarktpolitischer Instrumente , noch das Matching berufsfachlicher Profile und daraus folgender Vermittlungsvorschläge zeigen die gewünschten Ergebnisse.“
Diese Analyse ruft nach einer Veränderung der Rahmenbedingungen. In der Vergangenheit hat es bereits Überlegungen, Diskussionen und Ansätze gegeben, wie die Arbeitsmarktstrukturen sinnvoll zu verändern wären. Beispielsweise könnte man den Städten und Landkreisen – angelehnt an das niederländische Modell – ein Budget für die Integration der Erwerbslosen zur Verfügung stellen, das diese entlang der rechtlichen Vorgaben eigenständig einsetzen. Denn die Kommunen haben ein ureigenes Interesse die Zahl der Erwerbslosen möglichst gering zu halten, da die Beteiligung an den Kosten der Unterkunft direkt auf den kommunalen Haushalt durchschlägt. Dies würde die BA in Teilen überflüssig machen und dürfte daher kaum Realisierungschancen haben.
Von vielen Arbeitsmarktexperten befürwortet wird der Passiv-Aktiv-Tausch, der als Modellprojekt ‚Sozialer Arbeitsmarkt/Passiv-Aktiv-Tausch‘ in Baden-Württemberg durchgeführt wird. Statt Regelbedarf und Kosten der Unterkunft zu finanzieren können beim Passiv-Aktiv-Tausch diese Leistungen als Zuschuss für eine bedarfsdeckende Beschäftigung eingesetzt werden, also aktive Teilhabe, statt passiver Empfang der SGB II-Mittel. Auf die Voraussetzungen Zusätzlichkeit und öffentliches Interesse wird bei den Tätigkeiten verzichtet; es handelt sich um sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Das Land Baden-Württemberg gewährt den Städten und Landkreisen Zuschüsse, damit dieses Modell funktioniert. In ganz ähnlicher Richtung äußert sich der ehemalige Chef der BA, Frank-Jürgen Weise: „Wir sollten Langzeitarbeitslose ohne Qualifikation, die auf dem normalen Jobmarkt keine Chance haben, nicht weiter in akademische Schulungsprogramme schicken, sondern einen staatlich subventionierten Arbeitsmarkt für sie schaffen. Wir bezahlen ihnen Arbeit, statt ihnen Hartz IV und die Wohnkosten zu zahlen. Das wird nicht viel teurer.“
Der neue BA-Chef Detlef Scheele äußert sich nicht dezidiert zum Passiv-Aktiv-Tausch, doch auch er setzt verstärkt auf öffentlich geförderte, sozialversicherungspflichtige Jobs und will etwa 100.000 bis 200.000 Langzeitarbeitslosen – Betroffene müssen mindestens vier Jahre arbeitslos sein und mindestens drei Vermittlungshemmnisse aufweisen – die Teilhabe am normalen Arbeitsleben ermöglichen. Zwar geht dieser Ansatz über den Projektcharakter vieler vorangegangener Maßnahmen hinaus, doch Scheele warnt selbst vor der Illusion, man könne Langzeitarbeitslosen damit dauerhaft zu einer Stelle verhelfen.
Nachdem Martin Schulz, der Kanzlerkandidat der SPD, ein Arbeitslosengeld Q für die Bezieher von Arbeitslosengeld I ins Spiel gebracht und damit offensichtlich ein bestimmtes, von der Agenda 2010 verprelltes Klientel im Blick hat, steigt der Druck, auch für die ‚am unteren Rand des Arbeitsmarktes‘, für die Langzeitarbeitslosen, etwas zu tun. Im Wahlkampf haben die Parteien nun die kleinen Leute entdeckt. Es darf allerdings nicht bei der Sozialrhetorik ‚Uns darf keiner verloren gehen‘ bleiben , sondern die Politik ist gefordert, ihre Vorstellungen mit finanziellen Ressourcen zu hinterlegen.
Beschäftigungszuschüsse, öffentlich geförderte Beschäftigung, verpflichtende Ehrenamtsarbeit plus Arbeitslosengeld, der Ausbau des sozialen Arbeitsmarktes und andere Vorschläge stehen schon seit längerem im Raum und lassen sich durchaus miteinander kombinieren, um so quantitativ und qualitativ im Sinne der Betroffenen bessere Ergebnisse zu erzielen. Nur muss es konzeptionell fundiert und gesellschaftlich begründet auf den Weg gebracht werden.
Heinrich Alt geht in seinem Gutachten zur Reform der Grundsicherung über die bisherigen Überlegungen hinaus. Er will die Grundsicherung vereinfachen, Bürokratie abbauen und mehr Zeit für die Jobvermittlung gewinnen und er fordert: „Das Versicherungssystem wird reorganisiert. Der Personenkreis der Leistungsberechtigten der Grundsicherung wird auf einen unumgänglichen Kern reduziert.“ Übersetzt heißt das: die BA kümmert sich um diejenigen, die absehbar in den 1. Arbeitsmarkt zu vermitteln sind. Die Jobcenter sind für diejenigen zuständig, bei denen die soziale Integration (Schuldnerberatung, Suchtberatung, psychosoziale Beratung) im Vordergrund steht und für die die Integration in den 1. Arbeitsmarkt ein Fernziel ist. Dies hätte erhebliche organisatorische und personelle Auswirkungen zur Folge und wäre eine Reform der Reform, die nur über eine Gesetzesänderung zu realisieren wäre. Nach der Bundestagswahl wird es sich zeigen…