Die Externalisierung der Flüchtlingskrise: Aus den Augen, aus dem Sinn

Im Oktober 2013 ertranken mehr als 300 Flüchtlinge vor Lampedusa. Ein Aufschrei des Entsetzens und der Empörung ging durch Europa. Auch der Besuch der Insel durch Papst Franziskus als Zeichen christlicher Barmherzigkeit konnte jedoch nicht verhindern, dass sich das Mittelmeer  zu einem Massengrab entwickelte. Weit mehr als 20.000 Flüchtlinge dürften im Mittelmeer über die Jahre ertrunken sein. Doch Empörung und Entrüstung sind abgeebbt, eine unmittelbare Betroffenheit ist in vielen europäischen Ländern, so auch in Deutschland, nicht mehr gegeben, das Flüchtlingselend ist aus den Schlagzeilen verschwunden, es herrscht, sieht man von engagierten Teilen der Zivilbevölkerung ab, globalisierte Gleichgültigkeit.

Italiens neuerlicher Hilferuf lässt in diesem Zusammenhang aufmerken. Die italienische Regierung drohte, Schiffen von Hilfsorganisationen mit Flüchtlingen an Bord die Einfahrt in italienische Häfen zu verweigern. Bisher sind in 2017 mehr als 85.000 Flüchtlinge nach Italien gekommen. Die Aufnahmekapazitäten des Landes sind überstrapaziert und ein Mehr an Flüchtlingen birgt innenpolitischen Sprengstoff. Bereits in der Vergangenheit ist ein Hilferuf Italiens an die EU – es ging darum, die humanitäre Operation Mare Nostrum zu europäisieren – ungehört verhallt. Statt dessen wurde die Grenzschutzagentur Frontex gestärkt. Italien darf nun Hilfsorganisationen einen Verhaltenskodex vorschreiben, bleibt aber im Prinzip allein in der Flüchtlingsfrage.

In der EU fehlt es nach wie vor an Solidarität in der Flüchtlingskrise. Polen, Tschechien und Ungarn weigern sich bei der (ohnehin schon bescheidenen) Verteilung von Flüchtlingen mitzumachen. Österreichs Verteidigungsminister überlegt gar, im Falle von aus Italien nach Österreich drängenden Migranten Panzer an den Brenner zu schicken. Angesichts dessen, dass Österreich dieses Jahr wohl deutlich unter der selbst gesetzten Obergrenze von 35.000 Asylanträgen bleiben wird, eine innenpolitisch motivierte, wahlkampfbedingte Aussage, die gleichwohl die Populisten nährt. Überall in Europa reüssiert Fremdenfeindlichkeit und der Trend zur Entsolidarisierung verstärkt sich. Nach innen erscheint die EU überfordert. Die Flüchtlingskrise berührt ihre Fundamente, führt in mehreren Ländern zu innenpolitischen Verwerfungen und nagt beständig an ihren Werten.

Nach außen funktioniert die Abschottung, jedenfalls weitestgehend. Man versucht, Migranten gar nicht erst nach Europa gelangen zu lassen. Die Balkanroute ist dicht, der Deal mit Erdogan verhindert größere Flüchtlingsbewegungen über die Türkei, bleibt als Einfallstor im wesentlichen noch der gescheiterte Staat Libyen. Die EU versucht bereits, Migranten auf dem Weg nach Libyen oder spätestens in libyschen Küstengewässern abzufangen und zurückzuschicken, indem sie die libysche Grenz- und Küstenwache aufrüstet und hilft, die südliche Grenze Libyens zu sichern. Geld für Abschreckung und Abschottung ist da, humanitäre Organisationen sind hingegen unterfinanziert.

Hinzu kommt die verstärkte Rückführung von Flüchtlingen, ferner Rücknahmeabkommen und „Mobilitätspartnerschaften“ mit afrikanischen Staaten, um Migranten an der Flucht zu hindern. Einziges Ziel der Industriestaaten: sich vor Armut und Elend der Flüchtenden schützen. Alternativen, wie die Einrichtung sicherer und legaler Zugangswege oder eine eigene Zuständigkeit der EU für Asylverfahren, werden nicht ernsthaft erwogen, partnerschaftliche, intelligente Lösungsansätze mit afrikanischen Staaten, die die Flüchtlingszahlen verringern und die Lebensbedingungen vor Ort verbessern, nicht verfolgt. Konzepte zur Überwindung der Solidaritätskrise: Fehlanzeige. Die Aushöhlung des Asylrechts, das Ertrinken Tausender im Mittelmeer und das Vegetieren von Tausenden in Elendslagern werden in Kauf genommen. Die Entsolidarisierung der Europäischen Gemeinschaft nach innen korrespondiert mit der auf Abschottung setzenden Solidarität nach außen, frei nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn.

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