Segregation entgegenwirken – frühzeitig!

Durch Flüchtlinge und Migranten nehmen Segregationstendenzen in der Gesellschaft zu. Während am oberen Ende der sozialen Skala die Begegnung und vor allem die Konkurrenz mit Flüchtlingen weitgehend ausbleibt, brechen neue Verteilungskonflikte am unteren Ende der sozialen Skala aus. Einheimische Einkommensschwache und einkommensschwache Migranten konkurrieren mit den Fluchtmigranten nicht nur um Stellen für Un- und Angelernte im Niedriglohnbereich, sondern auch um preiswerte Wohnungen; wie Hartz-IV-Bezieher sind sie auf Wohnraum im Niedrigpreissegment angewiesen, der sich vorwiegend in sozial benachteiligten Gebieten findet. Im Sozialbericht Nordrhein-Westfalens  von 2016 heißt es: „Es ist zu befürchten, dass sich in Kommunen mit hohen Armutskonzentrationen und steigenden Flüchtlingszahlen  bereits bestehende Konzentrations- und Segregationstendenzen von Armut verschärfen.“

Die kommunale Infrastruktur in Kitas und Schulen ist überlastet, wenn 70% bis 80% der Kinder aus Flüchtlings- und Migrantenfamilien sowie aus bildungsfernen Elternhäusern kommen oder Inklusionskinder sind. Nicht verwundern darf es daher, wenn es an sozialen Brennpunktschulen in zugespitzten Situationen schnell mal zu Gewalttätigkeiten kommt. Ebenso wenig verwundern darf es, wenn angesichts ungleicher Lebenschancen und Perspektivlosigkeit Konflikte auf der Straße eskalieren und aus nichtigen Anlässen gewalttätige Ausschreitungen entstehen. Populistische Parteien schlagen daraus Kapital. Will man die Entwicklung von ethnischen Kolonien zu Parallelgesellschaften, gekennzeichnet durch ethnisch-kulturelle und religiöse Segregation, aufgeladen mit Verteilungskonflikten, Verdrängungswettbewerben und Armutskonzentration, verhindern, muss die Mehrheitsgesellschaft mehr Möglichkeiten zur Integration bieten und zwar (Flucht)Migranten und sozial Benachteiligten in gleicher Weise.

Ein wichtiger Hebel dabei ist eine kommunale Strategie für bezahlbaren Wohnraum; die braucht es, um nicht Investoren das Feld zu überlassen und um als soziale Brennpunkte identifizierte bzw. sich dahin entwickelnde Quartiere zu verhindern oder wieder aufzubrechen. Nötig ist, für Menschen mit unteren und mittleren Einkommen öffentlich geförderte oder preisgedämpfte Wohnungen anzubieten, so dass durchmischte Quartiere entstehen, in denen arm,reich, jung und alt nebeneinander wohnen können. Hilfreich wäre, wenn der Bund für die gesamtstaatliche Aufgabe der sozialen Wohnraumförderung zuständig wird und wenn kommunale Wohnungsunternehmen und genossenschaftliches Wohnen von Bund und Land gezielt gefördert werden.

Ein weiterer Hebel ist die Entlastung der kommunalen Infrastruktur durch verstärkten Einsatz personeller und finanzieller Ressourcen. Angefangen von kleineren Gruppen bzw. mehr Erzieherinnen in Kitas über Familienzentren und die Einbeziehung der (Migranten)Eltern, spannt sich der Bogen zu mehr Sprachangeboten und mehr Lehrer- und Sozialarbeiterstellen an Schulen über Ausbildungs- und Arbeitsplatzangebote für junge Erwachsene hin zu aufsuchender Jugendarbeit und Quartiersmanagement. Das Beispiel Rütli-Schule zeigt, wie es funktionieren kann. Dort verlangten Lehrer wegen der andauernden Eskalation der Gewalt an der Schule deren Schließung. Das eigentliche, dahinterliegende Problem lag jedoch in der sozialen Herkunft der Schüler und ihren mangelnden Perspektiven. Kein Schüler hatte im Krisenjahr 2006 einen Ausbildungsplatz. Selbst bei einem Anteil von 90% Schülern nichtdeutscher Herkunft – und damit entgegen der vielfach geforderten Durchmischung – gelang der Umschwung. Mit u.a. folgenden markanten Veränderungsschritten: Änderung der Schulform in eine Gemeinschaftsschule, Einstellung von 3 Sozialarbeitern, Boxen als AG, Patenschaft mit einem Theater, Kooperation mit einem Unternehmen im Bereich der Berufsorientierung.

Mit einer anderen Problemlage hat es der französische Präsident Macron in den verarmten Vororten französischer Großstädte zu tun. Er versucht die Banlieues aufzubrechen mit einer Mischung aus polizeilicher Präsenz, um dem Sicherheitsbedürfnis der Bewohner nachzukommen, und mit der Bekämpfung des Radikalismus und der Jugendarbeitslosigkeit. Wer Menschen aus sozial schwachen Stadtteilen unbefristet einstellt, soll bezogen auf die Dauer von 3 Jahren eine Prämie von 15.000,- Euro erhalten. Ziel ist, die Grenze zwischen Einwandererghettos und den übrigen Stadtteilen zu verflüssigen.

Sowohl im Fall der Rütli-Schule als auch bei den Aktionsplänen für die Banlieues reagierte die Politik erst als die Situationen sich jeweils unübersehbar dramatisch zuspitzten und eine Intervention unvermeidlich wurde. Obgleich die Muster der sozialen Ungleichheit, der Perspektivlosigkeit, der Radikalisierung und der gewalttätigen Ausschreitungen und Konflikte bekannt waren, reagierte die Politik spät, sie agierte nicht. Es haperte an dem frühzeitigen Einsatz geeigneter Maßnahmen. Proaktives Handeln sieht anders aus.

Nun lassen sich die Lebenswelten in den Banlieues oder von Berlin Neukölln nicht mit denen der Peiner Südstadt vergleichen; die Problemlagen hier sind wesentlich kleiner dimensioniert. Aber Ansatzpunkte für ein Paket von Maßnahmen sowie für vorausschauendes Handeln lassen sich daraus und natürlich auch aus anderen Kontexten ableiten. Dabei entsteht zunächst ein bunter Strauß an Maßnahmen, die an die örtliche Situation angepasst und immer wieder neu konfiguriert werden müssen: Polizeiliche Präsenz, eine klare Linie bei Drogenkriminalität und Gewaltdelikten, Antiaggressionstraining, freizeit- und erlebnispädagogische Aktivitäten, Nachholen von Schul- und Berufsabschlüssen, Einzelfallhilfe, Streetworking, das vernetzt ist mit den Sozialraumakteuren Schule, Agentur für Arbeit, Jobcenter, Quartiersmanagement sowie mit Beratungseinrichtungen.

Bei allem engagierten Tun und Ressourceneinsatz gilt es die Selbststärkungskräfte im Quartier oder im Stadtteil zu mobilisieren und es nicht bei einer Ansammlung mehr oder weniger guter, möglicherweise nur aufgestülpter Projekte bewenden zu lassen, sondern die Bausteine gelingender Integration aufeinander zu beziehen. Ein gutes Fundament bietet dafür ein auf partnerschaftlicher Basis gemeinsam von den Bewohnern und den Sozialraumakteuren entwickelter übergreifender Integrationsplan, der von der Kommune politisch gesteuert, Stück für Stück im Quartier umgesetzt wird. Der Dialog, interreligiös, kulturell, gesellschaftlich, ist dabei ständiger Begleiter, denn Integration ist auch Folge eines gelingenden Wechselspiels zwischen Migranten, sozial Benachteiligten und Mehrheitsgesellschaft.

 

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