Digitale Verwaltung braucht ein anderes Organisationsmodell

Überall haben Organisationen Schwierigkeiten mit dem zunehmenden Tempo der Veränderung Schritt zu halten. Für Kommunen stellen der demographische Wandel und die Digitalisierung riesige Herausforderungen in den kommenden 5 – 10 Jahren dar. Denn angesichts des sich auch in den Verwaltungen abzeichnenden Fachkräftemangels und angesichts der rasanten Entwicklungen, etwa in den Bereichen Mobilität, Kommunikation und Gesundheitsversorgung , muss der Übergang in eine digitalisierte Verwaltung gestaltet werden. In Estland können heute bereits fast alle Interaktionen zwischen Bürger und Verwaltung digital erfolgen. Deutschland hinkt da mit seinem Stand bei eGovernment und elektronischen Dienstleistungen weit hinterher.

Veränderungen stoßen in Verwaltungen zumeist auf Beharrungsvermögen, Silodenken, Herrschaftswissen und eingefahrene Muster, die sich mit Vorliebe in dem Satz: „Das haben wir schon immer so gemacht!“ manifestieren. Nicht einfacher wird es, wenn eine gewisse Selbstzufriedenheit oder die Angst, aus der Komfortzone herausgerissen zu werden, hinzukommen. Gänzlich kompliziert werden Veränderungsnotwendigkeiten bei Führungsversagen. Bewerten Vorgesetzte, sei es bewusst oder unbewusst, Loyalität höher als Leistung, fördern sie damit ein nachahmendes Verhalten, das Innovation verhindert. Wenn die Schleimer und Duckmäuser Karriere machen, die Querköpfe und -denker aber nicht, werden der Mut zum Widerspruch und der Spaß am Diskurs sinken, statt zum festen Bestandteil der Verwaltungskultur zu werden. Angelika Slavik nimmt in der SZ diesen Typus des Vorgesetzten aufs Korn: „Vorgesetzte sind eben auch Menschen. Und die hören nun mal von Natur aus lieber, dass ihre Ideen ganz toll, ihre Einschätzungen der Lage brillant und sie selbst übrigens hippe Typen seien, die außerdem – ungelogen! – auch noch irre jugendlich rüberkommen.“ Unbestritten ist, dass Art und Weise wie man sich auf höchster Hierarchieebene verhält, in die ganze Organisation hineinwirkt. Insofern können bzw. müssen gute Führungskräfte, die kommunales Handeln von der Zukunft her gestalten, angesichts der anstehenden Herausforderungen träges, dahinplätscherndes Verwaltungshandeln durchbrechen, für mehr Agilität sorgen und die Kultur der Organisation verändern.

In der digitalen Verwaltung bleiben Bürgern Warterei und Papierkram erspart. Über ein Bürgerportal können Verwaltungsdienstleistungen elektronisch angeboten und alle Verwaltungsvorgänge abgewickelt werden, seien es SGB II-Leistungen, Elterngeld, Fahrzeug An- und Abmeldung, Personalausweisbeantragung und -verlängerung etc. Ist beispielsweise der Ausweis abgelaufen, wird der Bürger automatisch erinnert. Durch die Verknüpfung der (Register)Daten sparen sich die Bürger Wege, zugleich kann die Verwaltung ihre Kosten- und Prozesseffizienz steigern. Selbstverständlich hat jeder Bürger das Recht zu erfahren, welche Daten von ihm gespeichert werden.

Für die digitale Transformation braucht es die Neujustierung der Prozesse und eine Neugestaltung der Verwaltung. Die digitale, von Komplexität und Schnelligkeit geprägte, Ära erfordert neue Arbeitszeitmodelle, verändertes Führungsverhalten und eine andere Verwaltungskultur. Denn die Verwaltung kann sich nicht abkoppeln von den gesellschaftlichen Bedürfnissen nach Freiheit, Kreativität und Selbstentfaltung. Deutlich wird das an der Generation Y, das sind die zwischen 1980 und 2000 geborenen; sie gelten als die ersten Digital Natives. Für diese Generation ist Selbstverwirklichung zentral und  Arbeit soll vor allem Sinn machen und Abwechslung bieten. Natürlich arbeiten in einer Organisation nicht nur Digital Natives der Generation Y, sondern es treffen unterschiedliche Generationen und Werteperspektiven aufeinander. Dem gerecht zu werden ist Führungsaufgabe. Diversität stellt sich in diesem Kontext als organisationales Problem – wie kann eine Verwaltung die Vorteile von Standardisierung erhalten und zugleich den individuellen Wünschen ihrer Mitarbeiter entgegenkommen?

Für den Übergang ins digitale Zeitalter gibt es keine Blaupause. Die Zeiten, in denen Verwaltungen über Recht und Finanzen gesteuert werden, dürften gleichwohl vorbei sein. Auch eine ausgeprägte Hierarchiekultur dürfte der wachsenden Komplexität, der erforderlichen Geschwindigkeit und der stetigen Innovation kaum noch angemessen sein. Kommunen, die daran festhalten, werden über kurz oder lang abgehängt. Bisher konnten sie sich damit behelfen, dass besondere Aufgaben in Projektarbeit erledigt wurden und die Ergebnisse wie auch die in die Projektarbeit investierten personellen und sächlichen Ressourcen wieder in die Linie zurückgeführt wurden. Für eine offene, nutzerzentrierte und datengetriebene Verwaltung wird dies nicht reichen. Es braucht ein anderes Organisationsmodell, eines, das Hierarchie nutzt, um ein produktives Miteinander sowie Übergänge zu gestalten und das die Hierarchie von schwierigen Veränderungen entlastet. Es braucht das sowohl als auch von pionierhafter Netzwerkstruktur und Hierarchie, quasi ein duales Betriebssystem, und damit eben nicht eine optimierten Hierarchie, sondern  die Partnerschaft von Hierarchie und Netzwerk. Dazu gehört die Steuerung der Netzwerke zunehmend ohne disziplinarische Autorität und durch das Schaffen von Sinn. Denn Sinn ermöglicht eine gemeinsame Ausrichtung der Kräfte, bündelt die Perspektiven und stärkt das Gefühl der Zugehörigkeit. Großunternehmen, wie Daimler und VW,  – derzeit aus anderen Gründen nicht unbedingt als Vorbilder geeignet – experimentieren mit diesem Organisationsmodell, um ihre Zukunftsfähigkeit zu sichern.

Und die Kommunen?

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