Sind Top-Manager immun und lernresistent gegen Kritik, Empörung, Protest? In bestimmten Bereichen, offensichtlich ja. Denn die Vorstandsvergütungen in den 30 Dax-Konzernen entfernen sich immer weiter von denen ihrer Mitarbeiter. Nach Berechnungen des Instituts für Mitbestimmung und Unternehmensführung (IMU) der Hans-Böckler-Stiftung verdiente ein Dax-Vorstand im Jahr 2017 im Mittel 71 mal so viel wie die Beschäftigten seiner Firma im Durchschnitt. Die Vorstandsvorsitzenden verdienten das 97-fache, sogar auf das 232-fache kommt Postchef Frank Appel. Seit 2005 hat nach Berechnungen des Instituts der Gehaltsabstand zwischen Top-Managern und ihren Beschäftigten um rund 70 Prozent zugenommen.
Für diese rasante Entwicklung gibt es Erklärungen: Das Wegschauen der Politik, das Schielen der Top-Manager nach den höheren Vergütungen ihrer Kollegen in Amerika, der Vergleich mit Vorständen in vergleichbaren Positionen, der im Regelfall zu einem gegenseitigen Hochschaukeln führt sowie das Versagen von Kontrollmechanismen, denn in der deutschen Wirtschaftselite kennt man sich. Wer in Konzern X Vorstand ist, ist in Konzern Y Aufsichtsrat oder man sitzt gleich in mehreren Aufsichtsräten. Wesentlich dürfte auch sein, dass die Globalisierung eine nicht mehr ortsgebundene Finanz- und Wirtschaftselite hervorgebracht hat. Fühlten sich in den Zeiten der Industrialisierung die Unternehmenslenker noch ihrer Region verbunden, investierten beispielsweise in Wohnungen für ihre Arbeiter, in Schwimmbäder oder Theater, so ist weltweit agierenden Konzernen die Orientierung an lokalen Gegebenheiten gänzlich abhanden gekommen. Die Bindung gegenüber heimischer Wirtschaft und Gesellschaft, die sich jahrzehntelang überwiegend in nationalen Grenzen organisierte, (ver)schwindet. Entsolidarisierung ist das Ergebnis.
Hat man bei der Wirtschaftselite schon den Eindruck, viele Top-Manager bewegen sich in einer Parallelgesellschaft, so spült die Dieselaffäre ein wirklich erschreckendes Ausmaß an Verdrängung, Verharmlosung, Lügen, Hybris und Selbstüberschätzung an die gesellschaftliche Oberfläche. Seit 3 Jahren versucht VW die Aufklärung des Abgasskandals mehr zu be- und verhindern als voranzubringen. Ganz nonchalant lügen die Autobosse über die gesundheitsschädlichen Stickoxid-Werte und die Defeat-Devices, mit denen an Millionen von Dieselfahrzeugen gesetzliche Vorgaben für Umweltschutz umgangen wurden.
Doch die Stars von einst sind tief gefallen. Gegen Winterkorn besteht ein Haftbefehl der US-Behörden, Stadler sitzt in Untersuchungshaft und Zetsche, von dem der Satz stammt: „Bei uns wird nicht betrogen“, musste 238.000 Autos wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen zurückrufen. Dass sich die Autokonzerne zu betrügerischen Maßnahmen großen Stils hinreißen ließen und die Bevölkerung gesundheitlichen Gefährdungen aussetzten, zeugt von erheblichem Realitätsverlust, zumal eigene Fehler mit großer Selbstverständlichkeit abgestritten und vom Tisch gewischt werden. Ex-VW-Chef Müller belegt zudem, dass in den Vorstandsetagen der ethisch-moralische Kompass verloren gegangen ist. Angesprochen auf die Höhe seines Gehalts, plustert er sich auf, ein solches Gehalt entspreche der Relevanz von VW und dem Risiko, dem ein Mann wie er ausgesetzt sei… er stehe immer mit einem Fuß im Gefängnis. Welches Unternehmen war es doch gleich, bei dem Top-Manager immer mit einem Fuß im Gefängnis stehen?
Das Verhalten der Automobilbranche war möglich in dem Vertrauen darauf, dass die Regierung sie nicht haftbar machen wird. Nicht hinderlich war sicherlich dabei der Personalaustausch zwischen Regierung und Automobilbranche. Steg bei VW und von Klaeden bei Daimler mögen dafür als Beispiele dienen. Die Politiker hätschelten die Automanager, die die Arbeitsplätze garantierten und die Automanager hofierten die Politiker, die ihnen so wenig wie möglich weh taten und die die Verantwortung lieber an Gerichte delegieren.
Mit 800.000 Arbeitsplätzen und 450 Milliarden Umsatz ist die Automobilindustrie systemrelevant; das rechtfertigt offensichtlich ökologische und politische Vorgaben zu ignorieren. Ein Muster, das im übrigen bereits in der Finanzkrise 2008 funktionierte. Banken gelten als systemrelevant und wurden damals mit viel Steuergeld am Leben gehalten. Allein die HSH Nordbank dürfte den Steuerzahler zwischen 15 und 20 Milliarden Euro gekostet haben. Nicht unbedingt darben mussten in dieser Situation Vorstände und Investmentbanker, die trotz Krise Millionenboni kassierten.
Selbstüberschätzung und Selbstgefälligkeit machen der Autobranche auch an anderer Stelle schwer zu schaffen. Die Autokonzerne fühlten sich als Champions der Ingenieurskunst sicher, zu sicher. Jetzt hinken sie dem Tempo der Veränderungen hinterher und das gesamte Geschäftsmodell von Daimler, VW und BMW gerät ins Wanken, denn es fehlt eine Strategie für die post fossile Zukunft.
Eine selbstgerechte Grundhaltung und die selbstvergessene Bereicherung auf Kosten der Allgemeinheit zieht sich wie ein roter Faden von den Steuerhinterziehern Zumwinkel, Schwarzer und Hoeneß über die Panama Papers hin zu den Top-Managern der Banken und der Automobilbranche, als wenn diese Kaste ihre eigenen Gesetze schreibt. Top-Manager haben dadurch Vertrauenswürdigkeit und Vorbildfunktion verspielt, das Reservoir an Vertrauen in der Bevölkerung weitestgehend aufgebraucht und sich vom Gemeinwohl verabschiedet. Dabei haben doch gerade große Teile der Eliten von der wirtschaftlichen Entwicklung und der Globalisierung profitiert. Die Zugewinne wurden gern verbucht; von Verzicht – auch nur auf einen Teil der Zugewinne – keine Spur. Doch auch die Politik hat es versäumt, der zunehmenden Ungleichheit durch geeignete Maßnahmen bei der Steuer- und Sozialgesetzgebung entgegenzuwirken, die egoistischen Nutzenmaximierer in die Schranken zu weisen und die Wohlstandsgewinne gerechter zu verteilen. Eigentlich nicht verwunderlich, wenn sich erhebliche Teile der Bevölkerung materiell benachteiligt fühlen und ihr Heil in Rechtspopulismus, in Nationalismus, Abschottung und Fremdenhass suchen. Die Enttäuschung über die Etablierten geht einher mit der leisen Hoffnung, dass die Neuen vielleicht doch etwas besser machen. Dazu kommt die Neigung, die Schuld bei Schwächeren, wie Migranten oder Flüchtlingen, zu suchen. Das Politikangebot von AfD, Wilders, Le Pen oder Trump bietet zwar keine wirklichen Lösungen, setzt aber genau hier an, bei den Versäumnissen von Eliten und Politik.
Möglicherweise muss der Fokus auf die Eliten angesichts der rasanten technologischen Entwicklung noch anders gesetzt werden. Während die alten Industrieländer Europas durch die Globalisierung ihr Monopol auf Hochtechnologie verlieren, schafft der Vormarsch von Apple, Amazon, Google und Facebook neue Eliten und markiert eine Umbruchphase mit tief greifenden sozialen, politischen und ökonomischen Konsequenzen. Denn zur Entwicklung und Steuerung der Infrastrukturen bedarf es nur noch einer geringen Zahl hochkreativer Menschen, von ihrer Anwendung sind aber mehr oder weniger alle Menschen betroffen. Ökonomisch bedeutet dies eine Akkumulation von Macht in den Händen derer, die über diese Infrastrukturen verfügen. Politisch bedeutet dies einen Prozess der Entmündigung großer Teile unserer Gesellschaft(en). Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, dass die macht- und interessengetriebene Steuerung sozialer und politischer Prozesse mehr und mehr die Politik und die politische Debatte durchsetzt und letztlich ersetzt. Eine Dystopie? Nicht wenige behaupten, man sieht die Gefahren schärfer als die Chancen, die im Wandel liegen.