Nicht nur Arme, sondern auch Durchschnittsverdiener können sich in großstädtischen Ballungsräumen, wie München, Hamburg, Frankfurt oder Stuttgart, die in den letzten Jahren rasant gestiegenen Mieten nicht mehr leisten, geschweige denn den Kauf einer Immobilie. Für bezahlbaren Wohnraum demonstrierten vor kurzem in Berlin 13.000 Menschen, in München laden Initiativen zur Demo „ausspekuliert“ ein, in der Hamburgischen Bürgerschaft streiten Stadtregierung und Opposition über Wohnungsmangel und in Hessen will die SPD die Wohnraumkrise zu einem zentralen Thema im Landtagswahlkampf machen. Die Wohnungskrise reicht bis tief in die Mittelschicht. Wohnungsnot ist zur neuen sozialen Frage geworden. Massiv steigende Mieten verstärken die Ungleichheit, sie vergrößern die Kluft zwischen Besitzern und Besitzlosen; hier die Abgehängten in den Banlieues, in Quartieren, in denen mehr als die Hälfte der Kinder in Armut leben, und dort diejenigen, die sich besseres Wohnen leisten können und in wohl behüteten Vierteln wohnen. Die sozial durchmischte Stadt existiert nicht mehr. Doch die Frage des Wohnens entscheidet mit über den Zusammenhalt der Gesellschaft. Hier schlummert also durchaus sozialer Sprengstoff.
Warum sind bezahlbare Wohnungen so knapp? Dafür gibt es mehrere Gründe. Zunächst: Bund, Länder und Kommunen haben in den letzten Jahrzehnten den sozialen Wohnungsbau völlig vernachlässigt. Gab es 1987 noch 3,9 Millionen Sozialwohnungen, so schrumpfte die Zahl der Sozialwohnungen allein seit der Jahrtausendwende um 1,4 Millionen, so dass noch etwa 1,2 Millionen im Bestand sind. Bis 2020 werden weitere 170.000 aus der Bindung fallen. Auf der anderen Seite verschärften mehr Singlehaushalte und Zuwanderung die Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt. Gebaut wurde in diesen Jahren oft am Bedarf vorbei: Eigentumswohnungen bis ins höchste Luxussegment, oft von zahlungskräftiger Kundschaft als Renditeobjekt genutzt, aber zu wenig günstige Mietwohnungen, die den Bedarf hätten decken können.
Hinzu kommt: Immer mehr Wohnungen fielen aus der langfristigen Mietpreisbindung – jährlich mehr als 50.000 -; neue Wohnungen, um die Bestände aufzustocken, wurden nicht mehr gebaut. Bund, Länder und Kommunen zogen sich fast gänzlich aus dem sozialen Wohnungsbau zurück. Städte, wie Dresden, verscherbelten ihre Wohnungen, um die städtischen Kassen zu füllen. Zudem wurden kommunale Wohnungsbaugesellschaften privatisiert. Vor allem Investoren und Spekulanten profitierten von dieser Politik. Die Privatisierungen führten zu sozialer Entmischung und überhitzte Wohnungsmärkte zu kräftig gestiegenen Bodenpreisen, so sind beispielsweise in Berlin die Bodenpreise in den vergangenen fünf Jahren um 345 Prozent gestiegen.
Die Ursachen der Wohnungsnot sind lange bekannt, doch bis heute war die Politik nicht in der Lage, Abhilfe zu schaffen. Die Erwartungen vieler waren daher auf den Wohngipfel am 21. September im Kanzleramt gerichtet, der einen Durchbruch bringen sollte. Heraus kamen im Wesentlichen mit großem Tamtam verkündete Vorschläge, die bereits im Koalitionsvertrag festgehalten waren:
Eine minimal verschärfte Mietpreisbremse, die, vor 3 Jahren eingeführt, zwar nicht wirkungslos geblieben ist, aber den Anstieg der Mietpreise nicht entscheidend eindämmen konnte. Kritiker der Regierungspolitik sind sich einig, dass die Mietpreisbremse auch in der verschärften Form nicht ausreicht. Nötig wäre ihrer Auffassung nach, Verstöße gegen die Mietpreisbremse mit einem Bußgeld zu ahnden.
Das Baukindergeld belohnt vor allem Haushalte mit gutem Einkommen, die das erforderliche Eigenkapital mitbringen und sich Eigentum ohnehin zulegen würden. Für diese Haushalte hat das Baukindergeld einen gern gesehenen Mitnahmeeffekt. Bauträger in Ballungsgebieten preisen das Baukindergeld gleich mit ein. Da zudem eine regionale Differenzierung bei der Nutzung des Baukindergeldes fehlt, wird seine Wirkung weitestgehend verpuffen.
In Regionen mit angespanntem Wohnungsmarkt sollen Eigentümer bei Neuvermietungen höchstens einen Mietzins verlangen dürfen, der maximal zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt. Die Koalition will jetzt die Eigentümer verpflichten, dem neuen Mieter von sich aus die Höhe der Miete zu nennen.
Ein weiteres Ergebnis des Wohngipfels: Das Wohngeld für Geringverdiener soll steigen, allerdings erst 2020. Eine Reform soll sicherstellen, dass die Wohngeldbezieher mehr Geld bekommen und auch mehr Haushalte das Wohngeld in Anspruch nehmen können. Zuletzt nahmen knapp 600.000 Haushalte diese Leistung in Anspruch, das sind 1,4 Prozent aller Haushalte in Deutschland.
Um den Erwerb von Wohneigentum zu erleichtern, will die Koalition auch die Wohnungsprämie für Bausparer reformieren. Das Kabinett plant ferner eine umfangreiche Sonderabschreibung für Investoren, die Geld in den Neubau bezahlbarer Wohnungen stecken. Darüber hinaus enthält das Abschlusspapier des Wohngipfels ein Bündel weiterer Maßnahmen. Ziel der Koalition ist es, bis zum Ende der Legislaturperiode 1,5 Millionen Wohnungen neu zu bauen, davon mehr als 100.000 Sozialwohnungen. Ebenfalls bis zum Ende der Legislaturperiode will die Bundesregierung fünf Milliarden Euro in die Förderung des sozialen Wohnungsbaus stecken. Nach Berechnungen des Deutschen Mieterbundes sind diese Mittel allerdings nicht auskömmlich, denn es müssten sechs Milliarden jährlich investiert werden, um 100.000 Sozialwohnungen errichten zu können.
Ohne Zweifel können allein eine wirkungsvolle Mietpreisbremse, erhöhtes Wohngeld oder verstärkter Wohnungsbau (und das bei zu wenig Bauland und fehlenden Fachkräften!) die Wohnungsnot in Ballungsräumen nicht lösen. Wer die Wohnungsnot lindern will und will, dass der Verdrängungskampf in den Städten nicht noch zunimmt, der muss bei der Spekulation mit Grund und Boden ansetzen und sich dafür einsetzen, dass Boden als Gemeingut betrachtet wird. Erste Schritte dazu wären etwa eine massive Besteuerung ungenutzter Flächen oder die Abschöpfung von Spekulationsgewinnen. Auch muss die öffentliche Hand mehr Einfluss auf Grund und Boden nehmen; sie muss stärker als bisher intervenieren und auch wieder selbst zum Akteur werden; sie muss den Wohnungsbau als Teil der Daseinsvorsorge stärker regulieren und in Teilen selbst organisieren. Gestaltungsmöglichkeiten hat sie in jedem Fall, wenn sie selbst über Grund und Boden verfügt. So gibt es von Experten alternativer Wohnungspolitik die Forderung, dass Bund, Länder und Kommunen ihre Grundstücke gar nicht mehr verkaufen, sondern die Grundstücke nur in Erbpacht vergeben; dadurch kann die öffentliche Hand die Nutzung konkret vorgeben. Auch gibt es bereits Werkzeuge, um mit dem Boden im Sinne einer gemeinwohlorientierten Stadtentwicklung umzugehen. In München müssen Investoren 30 Prozent geförderten Wohnraums realisieren. In Berlin gibt es das Konzeptverfahren. Grundstücke werden nicht an diejenigen vergeben, die das meiste Geld zahlen, sondern an diejenigen, die das beste Konzept einreichen. Das sind interessante und innovative Ansätze, die allein aber noch nicht ausreichen, um den finanzkapitalistisch getriebenen Spekulanten das Wasser abzugraben.
Die öffentliche Hand sollte sich selbst zweifellos stärker im sozialen Wohnungsbau engagieren, etwa in dem sie öffentliche und genossenschaftliche Wohnungsbaugesellschaften in Schlüsselrollen bringt. Darüber hinaus geht noch das Konzept der „Neuen Wohnungsgemeinnützigkeit“. Wohnungsunternehmen sollen maximal vier Prozent Gewinn machen dürfen und die Überschüsse für gemeinnützige Zwecke verwenden. Klar ist auch, dass hier Mieter mit unterdurchschnittlichem Einkommen Vorrang erhalten.
Zu der Regulierung im sozialen Wohnungsbau würde auch gehören, den Zeitraum der Belegungsbindung zu verlängern, zugleich aber die Berechtigungsscheine zu befristen und in regelmäßigen Abständen zu überprüfen, damit bei der Belegung eine gewisse Durchlässigkeit entsteht.
Um die Wohnungsnot anzugehen, gibt es mehr oder weniger taugliche Instrumente. Um einen nachhaltigen Beitrag zur Linderung der Wohnungsnot im Sinne des Gemeinwohls zu leisten, ist jedoch ein grundsätzliches Umdenken erforderlich.