Dieselgate: schummeln, vertuschen, betrügen – und das über Jahre!

Zu der Einigung der Bundesregierung mit den Autokonzernen im Dieselstreit sagte Kanzleramtsminister Helge Braun: „Das ist ein sehr, sehr wichtiges Konzept für die Gesundheit der Menschen, die Zukunft der Dieselfahrzeuge und das Gerechtigkeitsgefühl.“ Große Worte. Doch die Fallhöhe zur Realität der Verbraucher und Bürger könnte kaum größer sein. Denn das Ergebnis des Dieselgipfels ist nicht etwa eine verbindliche, von den Herstellern finanzierte, Nachrüstung aller Dieselfahrzeuge oder eine Entschädigung für die Halter, sondern ein drastisches Entgegenkommen gegenüber denen, die über Jahre systematisch betrogen haben. Die,  die Messergebnisse des Kraftstoffverbrauchs ebenso manipulierten wie die des Schadstoffaustausches. Die Stickoxid-Vorgaben wurden nur im Prüflabor eingehalten; auf der Straße übertrafen Fahrzeuge, beispielsweise der Euro-5-Norm, den zulässigen Wert um das Fünffache. Jetzt drohen Fahrverbote und Wertverluste. Gravierender ist, dass nach einer Studie des Umweltbundesamtes  in Deutschland sich 6.000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr auf die Belastung mit Stickstoffoxid zurückführen lassen, nach Angaben der EU-Umweltbehörde sind es sogar mehr als 10.000. Das wird  von Bundesregierung und Autokonzernen als ein offensichtlich nicht vermeidbarer Kollateralschaden hingenommen. Vor diesem Hintergrund fallen die Ergebnisse des Dieselgipfels mehr als bescheiden aus.

Die Vereinbarung im Dieselstreit besteht aus zwei Komponenten: der Nachrüstung älterer Dieselmodelle sowie Kaufprämien für neue Fahrzeuge. Ab Anfang 2019 können sich die 65 Kommunen, die besonders durch Stickoxide belastet sind, die Umrüstung schwerer Lkws, etwa bei der Müllabfuhr oder der Straßenreinigung, zu 80 Prozent vom Bund finanzieren lassen. Die fehlenden 20 Prozent sollen die Kommunen selbst bezahlen. Auch für Kleintransporter von Handwerkern und Lieferanten soll es eine 80-Prozent-Förderung für die Nachrüstung geben, aber nur, wenn sie mit den Autos in belastete Städte müssen. Über die restlichen 20 Prozent will die Bundesregierung mit den Autoherstellern noch verhandeln.

Angebote für private Fahrzeughalter soll es nur in 14 als besonders belastet geltenden Kommunen geben, darunter München, Stuttgart, Köln, Hamburg. Zusätzlich gilt dies für Dieselfahrer aus den Landkreisen um diese Städte herum. Hinzu sollen auch Pendler kommen, die noch weiter außerhalb wohnen, aber einen Job in der betroffenen Stadt haben und Selbständige, die dort ihren Firmensitz haben. Das bedeutet, Millionen Dieselbesitzer außerhalb dieser Städte gehen leer aus.

Die Regierung erwartet vom jeweiligen Hersteller, dass er die Kosten für die Umrüstung einschließlich des Einbaus übernimmt. Die Haftung für den ordnungsgemäßen Betrieb des Autos sollen allerdings die „Nachrüster“ tragen, also nicht die Hersteller des Autos. BMW und Opel haben bereits angekündigt, bei der Hardware-Nachrüstung nicht mitmachen zu wollen. Daimler wäre bereit, VW, das am tiefsten im Dieselschlamassel steckt, will mitmachen, aber nur, wenn andere sich auch beteiligen. Für die Autobranche sind Kosten und Risiko derzeit ohnehin überschaubar, denn eine Nachrüsttechnologie steht nicht zur Verfügung. Für die neuen Katalysatoren gibt es bislang weder Anträge noch Genehmigungen, so dass Nachrüstlösungen wohl noch mindestens ein Jahr auf sich warten lassen werden.

Auch die Umtauschaktion kommt nur Dieselfahrern in den 14 besonders belasteten Städten zugute, und da auch nur denen, die einen Diesel der Schadstoffklassen Euro 4 und Euro 5 fahren. Mit den Umtauschprämien und Rabatten sollen sie sich einen Neuwagen oder einen jungen Gebrauchtwagen kaufen können. Daimler und Renault haben Prämien bis zu 10.000 Euro für den Tausch von alt in neu ausgelobt. BMW bietet 6.000 Euro für Neuwagen und 4.500 Euro für junge Gebrauchte, VW im Schnitt zwischen 4 und 5.000 Euro. Klingt gut, ist aber reine Augenwischerei. Denn für die Hersteller bedeutet dies keine sonderlich große Belastung, da es ja bereits  erhebliche Rabatte auf den Listenpreis gibt, teilweise 10 bis 20 Prozent, manchmal sogar noch mehr. Die Umtauschaktion stellt daher keine wirkliche Lösung für die Besitzer von Dieselfahrzeugen dar, sondern ist ein Verkaufs- und Konjunkturförderprogramm für Daimler, BMW, VW und Co. Es schließt diejenigen (von der Fahrt in die Innenstädte) aus, die sich kein neues Auto leisten können und es exportiert einen Teil unserer Luft-und Schadstoffbelastung mit den bei uns aus dem Verkehr gezogenen Gebrauchtwagen in andere Teile Europas oder nach Afrika, wo es keine hohen Grenzwerte gibt. Die Rabatte für Neuwagen und die Hardwarenachrüstungen für alte Modelle sind ein Deal der Bundesregierung mit den großen Autokonzernen zu Lasten der Verbraucher, der zudem völlig offen lässt, ob der gefährliche Stickoxidausstoß auf diese Weise tatsächlich schnell vermindert werden kann.

Die Dieselkrise hat viel mit der Struktur und der Ausrichtung der deutschen Autoindustrie zu tun. Mehr Motorleistung, weniger Spritverbrauch und geringere Umweltbelastung,  so sah die schöne, besser geschönte, Marketingwelt der großen Autokonzerne aus. Saubere Luft und saubere Geschäftspraktiken wurden uns vorgegaukelt. Doch die Realität war eine andere. Allein VW hat von 2007 bis 2015 fast 11 Millionen Autos mit unerlaubter Software und illegaler Motorsteuerung verkauft und dabei  gegen gesetzliche Auflagen verstoßen. VW hat sich des fortgesetzten und systematischen Betrugs schuldig gemacht und dafür in Deutschland ein von der Staatsanwaltschaft Braunschweig verhängtes Bußgeld in Höhe von 1 Milliarde Euro gezahlt. Den niedersächsischen Finanzminister hat es gefreut. Doch die eine Milliarde sind Peanuts im Vergleich zu den Milliardensummen, die in den USA fällig wurden.

Audi hat nicht nur den Schadstoffausstoß von knapp 5 Millionen Dieselfahrzeugen manipuliert, sondern ebenso Zulassungspapiere für Südkorea. Audi-Beschäftigte frisierten Testprotokolle und trugen sogar falsche Fahrgestellnummern ein, um Autos verkaufen zu können, die sonst keine Betriebserlaubnis erhalten hätten. Statt Vorschriften einzuhalten, bedienten sie sich bei Audi krimineller Mittel. Dem VW-Konzern waren im Übrigen die Manipulationen und der Betrug aus internen Untersuchungen in Ingolstadt bekannt. Eine Reaktion erfolgte nicht. Unterdessen verkündete der Audi-Vorstand das „Leitbild vom ehrbaren Kaufmann als Grundlage für unsere unternehmerischen Aktivitäten“.           Welch ein Hohn!

Vom Europäischen Gerichtshof wurde Deutschland schon einmal wegen seines zu laxen und zu nachsichtigen Umgangs mit einem Autobauer verurteilt. Deutschland hatte nicht rechtzeitig dafür gesorgt, dass ein klimaschädliches Treibhausgas in Klimaanlagen von mehr als 133.000 Daimler-Autos nicht mehr verwendet wird.

Der laxe Umgang und das Abschirmen der Autoindustrie gegenüber Forderungen aus der EU oder von Umweltverbänden ist bewährte Praxis. So hat die Bundesregierung in der Dieselkrise über Jahre eine Hinhaltetaktik verfolgt und damit die Autobranche bewusst geschont. Auch jetzt besteht der Eindruck, dass die völlig unzulängliche Einigung auf dem Dieselgipfel eher den bevorstehenden Landtagswahlen in Bayern und Hessen als der Einsicht in ethisches und industriepolitisch notwendiges Handeln geschuldet ist.

Darüber hinaus beteiligt sich der Bund an der Nachrüstung der Dieselfahrzeuge finanziell, wo doch die Autobranche gefordert ist, die Autos in den Zustand zu versetzen, der gleichermaßen den gesetzlichen Auflagen wie den Angaben in ihren Werbebroschüren entspricht. Wie schon bei den Banken haben die Steuerzahler die Verluste zu tragen. Mit ihrer Vorgehensweise möchte die Bundesregierung bestehende Jobs nicht in Frage stellen, vereitelt aber gerade dadurch klimafreundliche Technologien, wo doch alternative Antriebe die Märkte rasant erobern und Deutschland in der e-Mobilität gegenüber den USA und China bereits deutlich ins Hintertreffen geraten ist. Statt technologische Schübe zu erzeugen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Autobauer zu steigern, bremst die Bundesregierung die Entwicklung, gestaltet den Wandel nicht und wird ihrer politischen Verantwortung hier ebenso wenig gerecht wie gegenüber den Bürgern.

Die Bürger werden mit dem Abgasproblem und den Folgen für ihre Gesundheit allein gelassen. Was Aufgabe der Politik gewesen wäre, erledigen nun die Gerichte: Sie verlangen Maßnahmen gegen die gesundheitsgefährdende Luftverschmutzung, konkret heißt das: Fahrverbote. Ab April 2019 gibt es für Dieselfahrzeuge der Schadstoffklassen 0 bis 5 in Berlin Fahrverbote für bestimmte Straßenabschnitte. Bereits seit Mai gibt es in Hamburg Durchfahrtsbeschränkungen für Dieselfahrzeuge, die nicht der neuen Norm Euro 6d temp. entsprechen. Im gesamten Stadtgebiet Stuttgarts (Umweltzone) dürfen Dieselfahrzeuge der Abgasnorm Euro 4 und schlechter von Anfang 2019 an nicht mehr fahren. Noch ist dies ein ziemlicher Flickenteppich und keine Gesamtlösung. Doch einige Gerichte lassen nicht locker. Denn obwohl mehrere Gerichte die jeweiligen Landesregierungen angewiesen haben, Fahrverbote zu prüfen und anzuordnen, weigern sich die zuständigen Behörden, den Urteilen nachzukommen. In Bayern ist der Streit zwischen Politik und Gerichten um bessere Luft inzwischen eskaliert, da in Sachen Luftreinhaltungspläne nichts passiert ist. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof will vom Europäischen Gerichtshof prüfen lassen, ob Spitzenpolitiker mit Erzwingungshaft zum Umdenken gezwungen werden können.

Allein der Prüfauftrag stellt der Politik für ihr Nichtstun ein Armutszeugnis aus. In der Dieselkrise hat die Politik enorm an Vertrauen eingebüßt, ihre Glaubwürdigkeit hat schweren Schaden genommen. Eine Politik, die gegen Einsicht und Vernunft handelt, können und wollen viele Bürger nicht mehr verstehen. Und auch nicht mehr hinnehmen.

 

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