Schuleingangsuntersuchungen – als Indikator für frühkindliche Bildung nutzen!

Schuleingangsuntersuchungen sind in Niedersachsen, wie in den meisten Bundesländern, eine Pflichtaufgabe des Gesundheitsamtes. Die Durchführung der standardisierten Untersuchung obliegt in der Regel dem Kinder- und Jugendärztlichen Dienst. Schuleingangsuntersuchungen geben wertvolle Hinweise auf  Gesundheitszustand und  Entwicklungsstand eines ganzen Jahrgangs und sie zeigen individuelle Stärken und Schwächen der Kinder auf. Bestandteil der Untersuchungen ist, dass die untersuchenden Ärztinnen und Ärzte Empfehlungen für Fördermaßnahmen geben. Ob ein Kind von sich aus die Bereitschaft und Motivation zum Lernen mitbringt, ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt bei der Einschulungsuntersuchung, die zeigen soll, ob ein Kind den schulischen Anforderungen gewachsen ist.

Die Ergebnisse der Schuleingangsuntersuchungen lassen eine kleinräumliche Auswertung zu und ermöglichen Rückschlüsse auf sozialräumliche Problemlagen und die Qualität von Kindertagesstätten. So erhielten in der Kernstadt Peine in 2017 nur 45 Prozent der Kinder eine Einschulungsempfehlung ohne Einschränkung, während es im übrigen Landkreis im Durchschnitt 67 Prozent waren. Ein ebenso eklatanter wie erschreckender Unterschied von mehr als 20 Prozent! Hinzu kommt, dass der Anteil der Kinder mit Schwimmabzeichen in der Kernstadt Peine bei 13 Prozent lag, im übrigen Landkreis bei 49 Prozent. Bei regelmäßiger Sportaktivität ist das Verhältnis mit 40 zu 67 Prozent in etwa so wie bei den musischen Aktivitäten. Folgt man der Annahme, dass die regelmäßige Aktivität in sozialen Gruppen einen günstigen Einfluss auf die Gesamtentwicklung eines Kindes hat und sich positiv auf den Entwicklungsstand bei der Einschulung auswirkt, und schaut man sich darüber hinaus bei Sprachentwicklung sowie Grob- und Feinmotorik die auseinanderdriftenden Prozentzahlen zwischen Kernstadt und übrigem Landkreis an, so muss man einen deutlichen Entwicklungsrückstand bei den 5 bis 6-jährigen in der Kernstadt im Vergleich zu den anderen Sozialräumen konstatieren. Bis zur Pubertät wachsen die Unterschiede in der Bildungsentwicklung dann noch weiter an. Der Schuleingangsbericht macht dafür nicht den Migrationsanteil von 50 Prozent verantwortlich, sondern identifiziert als Risikofaktor die Bildungsferne von Familien, die zumeist in ökonomisch schwierigen Verhältnissen leben.

Was tun? Kinder mit Bussen in andere Stadtteile oder Gemeinden bringen, kann nicht die Lösung sein, da die Kinder dadurch aus ihrem sozialen Kontext herausgerissen würden. Wohnviertel so mischen, dass es in jedem Viertel Wohnraum für Menschen mit unterschiedlichem Einkommen gibt, dauert wahrscheinlich Jahrzehnte, wenn es denn überhaupt funktioniert. Als kurzfristig umsetzbare Möglichkeit bleibt, Kindertagesstätten in sozialen Brennpunkten mit einem anderen Personalschlüssel und mit Sozialarbeitern auszustatten und sie konzeptionell zu unterstützen, so dass sie ihre komplexen Aufgaben bewältigen können. Wegschauen kann für die Politik jedenfalls keine Option (mehr) sein, denn das schafft neue Probleme in der Zukunft.

Für Kindertagesstätten in  einem schwierigen sozioökonomischen Umfeld lassen sich durchaus Anleihen bei der Rütli-Schule nehmen. 2006 war die Rütli-Schule eine Hauptschule, in der Unterricht kaum mehr möglich war, an der Gewalt herrschte und an der Lehrer Angst vor ihren Schülern hatten. Vor allem Sprachbarrieren und Gewalt verhinderten ein „normales“ Unterrichten. Laut Schulleitung lag das Problem nicht in der arabischen, türkischen oder serbischen , sondern in der sozialen Herkunft der Schüler und in ihren mangelnden Perspektiven. Innerhalb von 10 Jahren wurde aus der Problem- eine Vorzeigeschule und das, obwohl auch heute noch 72 Prozent der Schüler von Transferleistungen leben.

Wie war das möglich? Durch ein Bündel von Maßnahmen: Aus der Hauptschule wurde eine Gemeinschaftsschule mit einer Mensa, modernsten naturwissenschaftlichen und PC-Räumen, einer Schulküche, einer Holz- und Metallwerkstatt. Kooperationen wurden geschlossen mit Kultur- und Spracheinrichtungen sowie mit der Deutschen Bahn zur Unterstützung einer frühzeitigen Berufsorientierung. Die verbesserten Rahmenbedingungen kamen zusammen mit einer neuen, engagierten Schulleitung, dem Einsatz von Sozialarbeitern und veränderten pädagogischen Ansätzen und Projekten. Die Schwerpunkte der Unterrichtsgestaltung wurden auf den binnendifferenzierten, schülerzentrierten Umgang mit heterogenen Klassen und die individuelle Förderung gelegt. Das Motto lautet: „Kein Schüler bleibt zurück.“

Vor vergleichbar großen Herausforderungen stehen Kindertagesstätten, besonders die, deren Einzugsbereich sich nicht auf  Kinder aus sozioökonomisch besser gestellten Familien bezieht. Sie sollen nicht nur alle Kinder in Sachen Sprache fit machen, sondern auch alle Kinder in ihrer Unterschiedlichkeit in die Kitas inkludieren, alle Kinder in ihrer Entwicklung fördern, herkunftsbedingte Unterschiede ausgleichen und sie sollen das, was Familien selbst nicht schaffen, genauer: größtenteils selbst erzeugen, kompensieren.

Mit den vorhandenen Ressourcen ist dies vielerorts nicht möglich. Bund und Land sind gefragt, aber auch die Kommunen dürfen nicht wegsehen. Strukturelle Verbesserungen gibt es nicht zum Nulltarif. Erforderlich sind Investitionen in frühkindliche Bildung sowie Anstrengungen bei Pädagogik und Qualität. Das bedeutet: eine Verbesserung der Personalressourcen – dazu gehört der Einsatz von Sozialpädagogen in Brennpunktkitas – , eine Verbesserung des Qualifikationsprofils des Personals, eine gute sächliche Ausstattung, das Einziehen von Qualitätsbausteinen in das pädagogische Konzept, die Einbindung des Sozialraums und ein möglichst ganztägiges Bildungs- und Betreuungsangebot.

Ein wesentlicher Baustein ist dabei die Vernetzung von Kita und Grundschule und die Zusammenarbeit mit den Eltern. Anschaulich ist dies im Taunussteiner Modell beschrieben. Nicht wenige Eltern bedürfen der Unterstützung, dürfen aber andererseits auch nicht aus ihrer Verantwortung entlassen werden. Unterstützung bieten zum Beispiel niedrigschwellige Angebote,  wie Elterncafés oder Familienzentren. Deutlich mehr Verbindlichkeit fordern Kindertagesstätten ein, die mit Checklisten für Eltern arbeiten. Wenn etwa Schleifebinden geübt wird und es nicht funktioniert, dann heißt es: Eltern ihr habt Hausaufgaben.

Ansätze für strukturelle Verbesserungen, für mehr Chancengerechtigkeit und gute pädagogische Projekte gibt es bundesweit zur Genüge, nicht jedoch systematisch für Brennpunktkitas. Dabei gilt: je früher Kinder gefördert werden, desto geringer ist am Ende der Schulzeit die Ungleichheit zwischen benachteiligten und besser gestellten Kindern. Es sind gerade die Investitionen in die Drei- bis Sechsjährigen, die einen Bildungsaufstieg ermöglichen und zwar besonders, wenn sie Kindern aus sozial schwachen Familien zugute kommen. Frühes Lernen verbessert den Ertrag des späteren Lernens ganz erheblich. Wenn man Jugendliche erst mit 16 fördert,  ist das zu spät. Von einer besseren Bildung jedes Einzelnen profitiert zudem die gesamte Gesellschaft, nicht zuletzt durch geringere Ausgaben für Sozialleistungen und entsprechend höhere Steuereinnahmen.

Dies alles sind bekannte Fakten. Was fehlt, ist das politische Handeln. Deswegen kann die Schlussfolgerung aus den Schuleingangsuntersuchungen für die Kitas in der Kernstadt Peine nur sein, mutig und gezielt in die frühkindliche Bildung zu investieren.

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