Dritte Armutskonferenz des Landkreises Peine zum Thema „Armut und Bildung“

Im Vorfeld zu der Armutskonferenz fand am 22. November ein Interview mit Radio Okerwelle statt, das im Folgenden wiedergegeben wird.

Anmoderation

Gesundheit, Bildung, Lebenschancen: Je ärmer das Elternhaus, desto größer ist das Risiko für Kinder und Jugendliche. Wer aus einem sozial schwächeren Umfeld stammt, hat schon als Minderjähriger ein deutlich erhöhtes Risiko, etwa einer psychischen Erkrankung. Auch auf den Bildungsweg wirkt sich die Herkunft aus: Über die Hälfte der Hauptschüler in Deutschland lebt bei Eltern, die selbst einen Hauptschulabschluss oder gar keinen allgemeinbildenden Abschluss haben. Die Zahlen stammen aus dem „Datenreport 2018“, der am Anfang des Monats vorgestellt wurde. In Peine findet nächste Woche die dritte „Armutskonferenz“ statt. Nicole Beyes hat darüber mit Dr. Detlef Buhmann gesprochen. Er ist Kreisrat für Soziales beim Landkreis Peine.

Fast jedes sechste Kind in Deutschland ist von Armut bedroht. Wie ist die Lage im Landkreis Peine?

Bundesweit, sagen Statistiken, sind 19 Prozent der Kinder armutsgefährdet. Im Landkreis Peine haben wir etwa 3.000 Kinder unter 16 Jahren im SGB II-Bezug, das entspricht knapp 15 Prozent. Es zeigt, dass trotz sprudelnder Steuereinnahmen und geringer Arbeitslosigkeit Armut immer noch ein Thema ist.

Nächste Woche findet die dritte Armutskonferenz in Peine statt. Wer nimmt daran teil?

Das ist eine breite Palette: Wir haben Vertreter und Vertreterinnen von Kindertagesstätten, Schulen, Kommunen, Wohlfahrtsverbänden, Vertreter und Vertreterinnen des Sports, aus dem Gesundheitsbereich und der  Integration, Elternräte, Fachhochschule usw. Das ist auch notwendig, denn wenn man auf kommunaler Ebene etwas gegen Kinderarmut tun will, braucht man ein breites Bündnis und viele Kooperationspartner. Denn Armut hat viele Gesichter. Es gibt nicht nur Einkommensarmut, sondern Armut hat soziale, kulturelle und gesundheitliche Seiten, ist mehrdimensional.

Bei der Konferenz wird es einen Impulsvortrag von der Geschäftsbereichsleiterin Kirchenkreissozialarbeit der Diakonie, Tanja Klomfass, geben. Der Titel ihres Vortrags lautet: „Kinderarmut – verwalten oder gestalten?“ Welche Möglichkeiten der echten Gestaltung gibt es eigentlich auf der Ebene des Landkreises und wo liegen die Schwierigkeiten?

Es ist richtig, dass wir auf bestimmte Dinge, wie beispielsweise die Höhe der Grundsicherung oder des Kinderzuschlags, keinen Einfluss haben. Was wir machen können, ist übergreifend zusammenzuarbeiten, in Strukturen zu investieren und Angebote zu schaffen. Wir haben sogenannte Präventionsketten gebildet, von der Geburt, über die Krippe, Kita, Grundschule bis hin zu den weiterführenden Schulen. Wir setzen mit unseren Frühen Hilfen gleich nach der Geburt ein, beispielsweise über Babybegrüßungspakete, mit denen unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Hausbesuche machen, wir haben Familienhebammen im Einsatz, wir bieten Elternfrühstücke, später Elterncafés und Familienzentren, Familienlotsen und wir denken über Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen in Brennpunktkitas und Grundschulen nach. Wir machen das, weil Kinderarmut auch immer Elternarmut ist und wir von daher die Eltern in den Blick nehmen wollen. Das Muster dabei ist immer Beratung, Bildung und individuelle Förderung.

Kinder von Alleinerziehenden und Kinder mit Migrationshintergrund haben das größte Armutsrisiko. Braucht es für sie spezielle Angebote?

Aus meine Sicht nein, weil besondere Angebote immer die Gefahr der Stigmatisierung in sich bergen. Und das möchte ich vermeiden. Für sinnvoller halte ich es, gemeinsam mit den Betroffenen nach Wegen aus der Armut zu suchen und dabei spielt Bildung eine ganz entscheidende Rolle. Denn Studien zeigen, dass Kinder in besonderem Maße armutsgefährdet sind, wenn Einkommensarmut und bildungsferne Eltern zusammenkommen und das hat nicht unbedingt etwas mit dem Status alleinerziehend oder Migrationshintergrund zu tun.

Nun ist ja gerade eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung im Gespräch. Sie widerlegt das Vorurteil gegenüber sozial schwachen Familien, sie würden mehr Geld für Flachbildfernseher und Alkohol verschleudern. Höhere Leistungen kämen dem Nachwuchs zugute. Sollten daraus konkrete Konsequenzen erwachsen für die Bezieher von Hartz IV?

Wahrscheinlich gibt es ja einen kleineren Teil von Eltern, die das Geld in der Tat für Fernseher oder Alkohol ausgeben. Unsere Erfahrung ist aber, dass selbst wenn Eltern in einer ökonomisch schwierigen Lage sind, sie zunächst die Bedürfnisse ihrer Kinder erfüllen und deren Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sicherstellen wollen, also an Klassenfahrten, sportlichen und musischen Aktivitäten. Dazu gibt es ja das Bildungs- und Teilhabepaket, allerdings sind die dort für sportliche und musische Aktivitäten vorgesehenen Mittel zu gering. Die Bundesregierung beabsichtigt nunmehr, die Mittel für Schulbedarf , Mittagessen und Nachhilfe aufzustocken. Ich möchte noch hinzufügen, dass von Gewerkschaften, Sozialverbänden und aktuell der Bertelsmann-Stiftung eine Kindergrundsicherung ins Spiel gebracht wird, die etwa 570 Euro betragen soll, und die mit steigendem Familieneinkommen sinkt. Man wird abwarten müssen, ob das auch so realisiert wird.

Zum Thema Bildungs-und Teilhabepaket ist es ja zumindest so, dass es immer mit bürokratischem Aufwand verbunden ist und dieser Aufwand ja auch steht für eine gewisse Skepsis gegenüber den Eltern. Könnte man nicht einfach diese Bürokratie abschaffen und sagen, okay, ein Hunderter mehr?

Das Thema Kindergrundsicherung zielt ja genau in diese Richtung, weil ein Argument gegen das Bildungs- und Teilhabepaket ist in der Tat, dass der bürokratische Aufwand relativ hoch ist. Die Frage ist immer, was für ein Elternbild steht dahinter. Wenn ich denke, dass Eltern ihr Geld für Fernseher, Tabak und Alkohol ausgeben, dann gehe ich über  Sachleistungen, also das BuT; wenn ich aber denke, dass Eltern ihre Kinder unterstützen und dafür vielleicht sogar ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellen, dann spricht vieles für eine Kindergrundsicherung.

Die Konferenz nächste Woche ist bereits die dritte. Welche Erfahrungen haben Sie in den vorangegangenen Jahren gemacht – was bringt eine Armutskonferenz?

Die erste Armutskonferenz hatte den Titel: „Essen für jedes Kind“. Das haben wir mit Hilfe der Bürgerstiftung umgesetzt. Bei der zweiten ging es um Kinderarmut und Gesundheit. Da haben wir u.a. Reha-Übungsleiter über den Kreissportbund ausgebildet und Bewegungsangebote für Kindern zwischen 3 und 8 Jahren geschaffen. Bei der dritten Armutskonferenz geht es um das Thema Armut und Bildung. Ich erwarte mir aus den Arbeitsgruppen konkrete Vorschläge für die praktische Arbeit. Und die werden wir dann auch umsetzen. Mit der Armutskonferenz wollen wir eine breite Öffentlichkeit für das Thema sensibilisieren und einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass die Schere zwischen reich und arm nicht weiter aufgeht.

Abmoderation

Der Kreisrat für Soziales im Landkreis Peine, Detlef Buhmann, im Gespräch mit Nicole Beyes.

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