Mobiles Arbeiten – zufriedene Mitarbeiter, zufriedene Unternehmen?

Am 1. Mai 1886 rief die amerikanische Arbeiterbewegung zur Durchsetzung des Achtstundentages – die Regel war der 12-Stunden-Tag – zum Generalstreik auf. Gut 100 Jahre später, in den Neunzigerjahren, ließen sich die Gewerkschaften auf allerlei flexible Arbeitszeitmodelle ein, um angesichts der Globalisierung Arbeitsplätze zu sichern und die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Aktuell wird im Bundesarbeitsministerium überlegt, per Gesetz ein Recht auf Homeoffice zu schaffen und damit einen weiteren Schritt in Richtung Individualisierung zu gehen. Die Art, wie wir arbeiten, ändert sich, weil sich die ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verändert haben und sich weiter verändern werden. Die Digitalisierung wird noch nicht der letzte Treibriemen für Veränderungen am Arbeitsplatz sein.

Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wünscht sich jeder Dritte in Deutschland zumindest gelegentlich von zu Hause aus zu arbeiten; nur 12 Prozent tun das. 40 Prozent der Beschäftigten in Deutschland könnten laut DIW-Studie von zu Hause aus arbeiten, für 60 Prozent der Beschäftigten ist Homeoffice jedoch nicht machbar. Nicht in Frage kommen z.B. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Automobilproduktion, in der Pflege, im Kindergarten oder in diversen Servicebereichen.

Arbeiten im Homeoffice – das verspricht Autonomie und zusätzliche Freizeit. In der Tat bietet das Homeoffice Vorteile. Dazu zählen die größere Ruhe zu Hause, die Möglichkeit, Beruf und Familie besser miteinander vereinbaren zu können, etwa durch die Entlastung bei der Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Eltern oder durch eingesparte Zeit und Kosten für den Weg zum Arbeitsplatz. Ein Forscherteam der Stanford Universität hat zudem herausgefunden, dass die Mitarbeiter zu Hause um 13,5 Prozent effizienter waren; sie machten weniger Pausen und waren weniger krank. Und noch einen Punkt arbeitet die Studie heraus: Heimarbeiter seien zufriedener und glücklicher, heißt es. Eben dies führe dazu, dass sie motivierter arbeiteten.

Genau hier liegt aber auch die Kehrseite des mobilen Arbeitens. Gewerkschaften sehen in der Arbeit im Homeoffice einen Mechanismus zur Förderung der Selbstausbeutung. Eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) hebt hervor, dass flexibles Arbeiten mit der ihr innewohnenden Tendenz länger zu arbeiten als im Büro eher zulasten der Beschäftigten geht. Ganz besonders gilt dies für Frauen, was etwas mit den tief verankerten traditionellen Geschlechterbildern zu tun hat. Umfängliche im Homeoffice zu erledigende Projekte und Aufgaben führen dann schon mal schnell zum Verschwimmen der Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit und damit zur Gefahr der Entgrenzung von Arbeit. Arbeitgebernahen Arbeitszeitexperten gelten flexiblere Organisationsformen im Betrieb denn auch längst als Instrument, um die Produktivität eines Unternehmens zu erhöhen. Auch muss der Arbeitgeber  weniger Arbeitsplätze vorhalten und spart so Kosten.

Der Preis für die Heimarbeit ist die Einsamkeit. Wer kein gutes Selbstmanagement besitzt und wer nicht genügend Selbstdisziplin aufbringt, sollte eine andere Arbeitsweise wählen.  Denn – abhängig von der Zahl der Homeoffice-Tage: 1x in der Woche, 2x in der Woche, 1x im Monat, komplett von zu Hause – fehlen partiell oder gänzlich die sozialen Interaktionen im Büro, der Austausch von zufälligen Ideen im Team und die Wertschätzung für die geleistete Arbeit durch Kollegen und Vorgesetzte. Arbeitsorganisatorisch erfordert die individuelle Arbeitszeitgestaltung einen höheren logistischen Aufwand, um alle Prozesse am Laufen und alle Teammitglieder auf dem Laufenden zu halten. Für eine ortsunabhängige Zusammenarbeit sind klare Regelungen zur Erreichbarkeit sowie eine offene Kommunikation und die Bereitschaft Konflikte anzusprechen, erforderlich. Da das über digitale Kanäle schnell mal zu Missverständnissen führt, braucht es Präsenztage. Diese mögen auch bei manchem Manager dazu beitragen, die Angst vor Kontrollverlust zu verringern.

Wägt man die Vor- und Nachteile des mobilen Arbeitens gegeneinander ab, dann stehen auf der einen Seite zufriedene und motivierte Mitarbeiter, wenn ihnen 1 oder 2 Tage in der Woche Homeoffice ermöglicht wird. Auf der anderen Seite weiß der Arbeitgeber, dass motivierte Beschäftigte die Wertschöpfung erhöhen und dass er angesichts des Fachkräftemangels sein Unternehmen attraktiv aufstellen muss. Eine Win-win-Situation also? Im Moment ja, denn zeitgemäße Personalpolitik setzt auf mobiles Arbeiten.

Doch auf Dauer stecken im Arbeiten von zu Hause auch Risiken, wie die zunehmende Vereinsamung und der Verlust des Gemeinschaftsgefühls. Vereinsamung kann zu Depressionen und Angststörungen führen und der Gemeinschaft hohe Folgekosten aufbürden. Psychische Erkrankungen machen heute schon einen Großteil der Fehlzeiten im Unternehmen aus. Das Gemeinschaftsgefühl droht verloren zu gehen, wenn gemeinsame Geburtstagsfeiern, der Plausch im Büro oder das gelegentliche Feierabendbier entfallen und nur noch in temporären Teams zusammengearbeitet wird, um das gesetzte Arbeitsziel zu erreichen. Dauerhafte Beziehungen, Freundschaften gar, entstehen dabei eher selten.

Durch die zunehmende Individualisierung leidet nicht nur das Gemeinschaftsgefühl, sondern die gesellschaftliche Solidarität beginnt zu bröckeln bzw. lässt sich über den Arbeitszusammenhang immer schwerer herstellen. Die Gewerkschaften, ohnehin gezeichnet durch den Verlust gesellschaftlicher Verankerung in Form sinkender Organisationsgrade, können ihre branchenübergreifende, ihre politische Artikulationsfähigkeit kaum mehr aufrecht erhalten, sie werden auf ihre branchenspezifischen Interessen reduziert und benötigen angesichts von Globalisierung und Digitalisierung unbedingt neue, den technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung tragende Strategien, um nicht noch weiter an Einfluss zu verlieren.

Letztlich ist die Arbeitsorganisation ein Reflex auf eine Welt, in der Komplexität und Unsicherheit steigen und in der es auf schnelles und flexibles Agieren  und Reagieren ankommt. Dies entbindet allerdings Politik, Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Zivilgesellschaft nicht von der Pflicht, auszuhandeln, wie in dieser Gesellschaft Arbeit zu organisieren ist und wie diese Gesellschaft in Zukunft aussehen soll.

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