Pisa – alle drei Jahre wieder… mehr Routine als Wachmacher!

Die erste Pisa-Studie im Jahr 2000 wirkte noch wie ein Schock. Die Kultusminister reagierten und Deutschland holte auf. Inzwischen ist die Reformdynamik erlahmt. Dies spiegelt die aktuelle Pisa-Studie wider. Deutschland landet im Mittelmaß  und es entsteht der Eindruck, man habe sich in der Mittelmäßigkeit eingerichtet. Denn die Ergebnisse der aktuellen Studie wurden im Politikbetrieb bloß routiniert zur Kenntnis genommen. So kommentierte Bildungsministerin Karliczek – und es klang nicht sonderlich tatkräftig -, „Mittelmaß kann nicht unser Anspruch sein.“ Keine konzertierte Aktion, keine in die Zukunft weisenden Planungen, keine Formulierung von ehrgeizigen Zielen. Nix. Allenfalls ein paar altbekannte Sonntagsreden gab es, aber keinen politischen Diskurs. Als wenn Bildung kein Stellenwert in unserer Gesellschaft zukommen würde. Dabei ist Bildung doch der Rohstoff, der über unsere Zukunft ganz wesentlich mit entscheidet. Ein Armutszeugnis für die Politik!

Zum siebten Mal legt – in einem dreijährigen Rhythmus – die OECD ihre Pisa-Studie vor. 2018 beteiligten sich 79 Staaten bzw. Regionen, insgesamt rund 600.000 zufällig ausgewählte Schüler und Schülerinnen im Alter von 15 Jahren, davon 5451 aus Deutschland. Sie verteilten sich auf 223 Schulen, vom Gymnasium bis zur Förderschule. Pisa möchte wissen, wie gut die 15-jährigen kurz vor dem Ende der Schulpflicht auf das Leben vorbereitet sind. Getestet werden drei Bereiche: Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften. Deutschland liegt in allen drei Bereichen über dem Durchschnitt der OECD-Staaten. Allerdings ist die Spitzengruppe aus China, Estland, Kanada und Finnland weit enteilt.

Nicht nur die Lesekompetenz, sondern der Schulerfolg insgesamt, ist in Deutschland signifikant stärker als im Durchschnitt der OECD-Staaten durch den sozialen Status bestimmt. Beim Leseverständnis hat sich der Zusammenhang zwischen Herkunft und Leistung in den vergangenen zehn Jahren laut OECD sogar noch verstärkt. Mehr als jeder fünfte 15-jährige erreicht nur extrem dürftige Ergebnisse, das sind Lesefähigkeiten auf Grundschulniveau. Hingegen erreichen 11 Prozent der Schüler und Schülerinnen die beiden höchsten Kompetenzstufen, auf Gymnasien sind es sogar 27 Prozent. Die Schere zwischen starken und schwachen Schülerinnen und Schülern ist so groß wie in keinem anderen Land.

Beim Lesen ist der Geschlechterunterschied besonders stark ausgeprägt; Lesen ist eindeutig eine Mädchenkompetenz. Besonders unter den Risikoschülern, die praktisch kaum lesen und schreiben können, sind die Jungen überrepräsentiert. 24 Prozent erreichen nur das untere Kompetenzniveau, 16 Prozent sind es bei den Mädchen. Mag sein, dass auch Geschlechterstereotype eine Rolle spielen, denn 43 Prozent der Jungen halten Lesen für Zeitverschwendung.

In Mathematik liegt die Zahl der sehr guten Schüler und Schülerinnen bei 13 Prozent, die Zahl der schwachen Rechner bei 21 Prozent, besonders viele an nicht-gymnasialen Schulen. Andere Länder halten die Kluft zwischen guten und schlechten Schülerinnen und Schülern kleiner. Ihnen gelingt es besser als in Deutschland, Chancengleichheit herzustellen; es gelingt eine Förderung der leistungsschwachen Schüler und Schülerinnen ohne die Förderung der leistungsstarken Schüler und Schülerinnen zu vernachlässigen.

In Mathematik ist der Vorsprung der Jungen geschrumpft, jedoch immer noch deutlich; in den Naturwissenschaften schneiden beide Geschlechter im Schnitt gleich gut ab, allerdings ist die Spreizung bei den Jungen größer. Aber auch in den Naturwissenschaften kommt ein Fünftel der getesteten Schüler und Schülerinnen nicht über das unterste Niveau hinaus. Die Pisa-Studie enthält einen Hinweis dazu: 70 Prozent der Schüler und Schülerinnen an benachteiligten Schulen sind vom Lehrermangel betroffen. Das sind doppelt so viele wie im OECD-Schnitt.

Ob beim Lesen, in der Mathematik oder in den Naturwissenschaften, es schält sich ein Fünftel der Schüler und Schülerinnen heraus, das mangelnde Grundkenntnisse und Kompetenzen besitzt. Eine ganze Gruppe junger Menschen droht damit dauerhaft abgehängt zu werden. Dazu gehören die Schulabbrecher und -abbrecherinnen, deren Quote in 2018 6,8 Prozent betrug. Eine, allerdings nicht hinreichende, Erklärung für die gestiegene Quote könnte in der Zuwanderung liegen, denn vielen jungen Geflüchteten fällt es schwer, die Sprache zu lernen und gleichzeitig die Schule zu beenden. Die Schule ohne Abschluss zu verlassen, kommt für die überwältigende Mehrheit dieser jungen Menschen einem Ausschluss von der Berufsausbildung gleich, wie eine Untersuchung des DGB feststellt. Aber selbst mit Hauptschulabschluss sind die Aussichten auf dem Lehrstellenmarkt düster. Knapp 1,5 Millionen waren es im Jahr 2018, die keine Ausbildung vorweisen konnten; der Anteil der unter 30-jährigen ohne abgeschlossene Ausbildung liegt damit bei gut 15 Prozent. Hier zeigt sich, dass wir noch weit davon entfernt sind den Anspruch „Kein Kind darf verloren gehen“ einzulösen.

Ein Gutteil des bereits in der Schule abgehängten Fünftels sind Kinder bildungsferner Eltern. Die Armutsgefährdungsquote für Kinder von Eltern mit niedrigem Bildungsabschluss liegt in Deutschland mit 60,9 Prozent wesentlich höher als im EU-Durchschnitt mit 51,3 Prozent, so das Kinderhilfswerk. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, anzunehmen, dass aus dem Fünftel mit schulischen Defiziten sich diejenigen rekrutieren, die armutsgefährdet sind und sich später wegen ihres geringen Einkommens in der Grundsicherung im Alter wiederfinden.

Die Gründe für die schulischen Versäumnisse sind vielfältig: eklatanter Lehrermangel, zu große Klassen, Unterrichtsausfall, Zuwanderung, schlecht ausgestattete Schulen etc.  Damit korrespondieren die Remeduren. Deutschland muss seine Bildungsausgaben erhöhen, will es bei Pisa zur Spitzengruppe gehören. Die Investitionen in Bildung betrugen 2016 4,8 Prozent des Bruttoinlandprodukts und lagen damit deutlich unter den Aufwendungen von sieben bis acht Prozent der erfolgreichen skandinavischen Länder. Der eklatante Lehrermangel ist das Kernproblem und muss behoben werden. Es kann nicht sein, dass die Kultusministerien sich in ihren Bedarfsanalysen so vertun, dass es nur noch darum geht, Löcher zu stopfen, etwa wenn Gymnasiallehrer für den Unterricht an Grundschulen abgeordnet werden müssen oder händeringend nach halbwegs geeigneten Quereinsteigern und Quereinsteigerinnen gesucht wird. Mehr Lehrer und Lehrerinnen an Brennpunktschulen sind vonnöten, ferner multiprofessionelle Teams, kleinere Klassen und eine individuell ausgerichtete Förderung. Lehrkräfte müssen in der Ausbildung mit neuen pädagogischen Konzepten darauf vorbereitet werden, mit Kindern mit unterschiedlichsten kulturellen, religiösen, sozioökonomischen, biografischen und körperlichen Voraussetzungen zu tun zu haben. Und nicht zuletzt braucht es eine gesamtgesellschaftliche Vision von Bildung und nicht das kleinkarierte Kompetenzgerangel von 16 Bundesländern.

Wenn wir eine stabile Basis für das Lerngebäude eines Kindes erstellen wollen, kommt es auf den Anfang an, auf die frühkindliche Bildung in der Kindertagesstätte. Aufbauend auf frühkindlichen Fähigkeiten lassen sich weitergehende Kompetenzen in der Kita gut entwickeln. Für eine bessere frühkindliche Förderung ist die Kita-Qualität entscheidend und die hängt ganz wesentlich von qualifizierten Erzieherinnen und Erziehern ab. Wir brauchen mehr pädagogische Fachkräfte in Kitas, damit diese gezielt mit bildungsbenachteiligten Kindern arbeiten und ebenso gezielt leistungsstärkere Kinder fördern können. Die Schuleingangsuntersuchungen ergeben dann weitere wertvolle Hinweise auf den individuellen Förder- und Unterstützungsbedarf, so dass mit Beginn der Schulzeit – am besten im pädagogischen Ganztag – darauf aufgebaut werden kann. So würde sich eine Bildungskette ergeben, die dazu beitragen könnte, dass die heutigen Kita-Kinder bei künftigen Pisa-Tests besser abschneiden.

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