Die Grundrente ist politisch beschlossen; sie startet zum 01. Januar 2021. Profitieren sollen davon 1,3 Millionen Menschen, davon 70 Prozent Frauen. Die Mehrausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung für die Grundrente in Höhe von 1,5 Milliarden Euro werden nicht aus Beiträgen, sondern aus dem Bundeshaushalt bezahlt. Die Grundrente ist mithin steuerfinanziert. Zur Gegenfinanzierung soll die seit einem Jahrzehnt diskutierte Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene eingeführt werden. Umsetzung allerdings ungewiss. Die Finanztransaktionssteuer gleicht da eher einer Fata Morgana.
Voraussetzung für den Erhalt der Grundrente sind mindestens 33 Beitragsjahre. Dazu zählen Arbeitsjahre sowie Kindererziehungs- und Pflegezeiten. Den vollen Zuschlag gibt es erst mit 35 Beitragsjahren. Die Gleitzone zwischen den 33 und 35 Beitragsjahren soll eine harte Abbruchkante verhindern. Wer 30 oder 32 Beitragsjahre nachweisen kann, geht leer aus. Voraussetzung ist zweitens ein unterdurchschnittliches Einkommen. Es muss zwischen 30 und 80 Prozent des Durchschnittseinkommens für diese Jahre liegen. Im vergangenen Jahr betrug diese Spanne zwischen 972 und 2.593 Euro brutto. Wer immer nur Minijobs hatte, profitiert also nicht. Das Arbeitsministerium hat errechnet, dass der durchschnittliche Zuschlag bei 85 Euro im Monat liegen wird, im Höchstfall bei knapp 405 Euro brutto. Bei langfristigen Niedrigverdienern mit Aufschlägen von weniger als 85 Euro wird in zahlreichen Fällen der Zahlbetrag der Grundrente unter der Grundsicherung liegen. Dies steht allerdings der Erklärung im Koalitionsvertrag entgegen, wonach die Grundrente rund 10 Prozent über der Grundsicherung liegen soll. Drittens sind Einkommensgrenzen maßgeblich. Die volle Grundrente erhält, wer als Alleinstehender ein zu versteuerndes Einkommen von nicht mehr als 1.250 Euro hat; bei Paaren liegt die Grenze bei 1.950 Euro. Sind die eigenen Einkünfte höher, wird der über der Grenze liegende Betrag zu 60 Prozent angerechnet. Ab 1.600 Euro bzw. 2.300 Euro gibt es keine Grundrente mehr. Zu Einkünften zählen die eigene Rente, die private Altersvorsorge sowie Kapitalerträge. Finanzämter und Rentenversicherung werden die Daten über die Einkünfte automatisch jährlich abgleichen.
Dem Beschluss zur Grundrente vorausgegangen war ein Gewürge und Gezerre in der Großen Koalition. Ursprünglich sollten nach den Plänen von Arbeitsminister Hubertus Heil 3 Millionen Menschen ohne Prüfung der Vermögensverhältnisse von der Grundrente profitieren, wohingegen die CDU eine Bedürftigkeitsprüfung verlangte. Für die SPD war die Grundrente ein zentrales Projekt dieser Wahlperiode, an dem zuvor schon die Ministerinnen von der Leyen und Nahles gescheitert waren. Für Hubertus Heil war die von ihm Respektrente genannte Grundrente noch mehr: ein Herzensprojekt, wie er betonte. Profitieren sollten Menschen, die in ihrem Erwerbsleben jahrzehntelang gearbeitet und dabei deutlich unter dem Durchschnitt verdient haben. Nachdem die SPD die Grundrente zu einer Überlebensfähigkeit der GroKo hochstilisiert hatte und die CDU die Handlungsfähigkeit der Regierung gefährdet sah, entstand ein politischer Kompromiss, der die ursprüngliche Idee schrumpfte und zerstückelte und zudem ziemliche Mängel und handwerkliche Fehler aufweist. Die Kritik an der Grundrente fällt dementsprechend harsch aus.
So wirft der Freiburger Professor Bernd Raffelhüschen dem Arbeitsminister vor, dass er das Lebensleistungsprinzip bricht. Das Prinzip verlangt einen engen, korrespondierenden Zusammenhang zwischen den geleisteten Rentenbeiträgen und der Höhe der Rente. Bei der Grundrente wird dies missachtet, denn den 1,5 Millionen Geringverdienern wird die Rente erhöht, ohne dass dem entsprechende Beiträge gegenüberstehen. Bert Rürup hält dagegen das aus dem Jahr 1957 stammende Äquivalenzprinzip, als dauerhafte Vollbeschäftigung die Regel war, vor dem Hintergrund eines postindustriellen Arbeitsmarkts nicht mehr für zukunftsfähig. Zudem sei Gerechtigkeit eine gesellschaftliche Konvention, die sich im Zeitverlauf ändern kann.
Durchgängig zu sein scheint, dass hier, wie bereits in der Vergangenheit, Klientelinteressen bedient werden. Für die Union war es die Mütterrente, die die CSU seinerzeit bezeichnenderweise ohne Einkommensprüfung durchgeboxt hat. Für die SPD war es die Rente ab 63 und jetzt die Grundrente. Schließlich gibt es etwa 18 Millionen Seniorinnen und Senioren über 65 in Deutschland; das entspricht über 22 Prozent der Gesamtbevölkerung, ein bedeutendes und keinesfalls zu vernachlässigendes Wählerpotenzial. Wenn man die Nachhaltigkeit des Rentensystems im Blick hat, sind solche zielgruppenorientierten Interventionen, die zwar punktuell Ungerechtigkeiten beheben, aber zugleich wieder neue Ungerechtigkeiten schaffen, entbehrlich. Nicht zuletzt gehen die Ausgaben für die Grundrente zu Lasten der jungen Generation, die intergenerative Gleichbehandlung wird dabei mit Füßen getreten.
Mit der Grundrente hat die Bundesregierung ein u.a. von der Deutschen Rentenversicherung und dem Sozialbeirat der Bundesregierung kritisiertes Bürokratiemonster geschaffen. Denn zu den Leistungsausgaben kommen im ersten Jahr 400 Millionen Euro hinzu und in den Folgejahren 200 Millionen Euro an Verwaltungsausgaben für Beratung, automatisierten Datenaustausch und die jährliche Einkommensüberprüfung (Bedarfsprüfung statt Bedürftigkeitsprüfung). 560 neue Stellen sollen bei der Rentenversicherung für die Grundrente neu geschaffen werden. Im Vorfeld sprach die Rentenversicherung sogar von 2.800 zusätzlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Zu den Verwaltungskosten kommen ferner noch rund 300 Millionen Euro für neue Freibeträge. Wer sich weiterhin mit der Grundsicherung besser stellt, etwa wegen hoher Mieten, soll einen Freibetrag für seine Rente bekommen, auch beim Wohngeld ist ein Freibetrag eingeplant.
Der Datenaustausch zwischen Finanzbehörden und Rentenversicherung wird zum 01. Januar 2021 noch nicht funktionieren, so dass es zur Auszahlung der Grundrente erst rückwirkend kommt. Für Neurentner könne die Versendung der Grundrentenbescheide voraussichtlich ab Juli 2021 beginnen, so der Direktor der Deutschen Rentenversicherung. Diejenigen, die schon heute Rentner sind, müssen sich jedoch noch länger gedulden. Für sie werden die Bescheide voraussichtlich erst in einem Zeitraum bis 2022 verschickt. Das lange Warten auf die Auszahlung dürfte nicht nur bei einigen zu Frustration und Verdruss führen.
Von Arbeitgebern und Teilen der Politik wird moniert, dass die Grundrente nicht zielgenau sei und nur bedingt gegen Altersarmut helfe. Denn nur ein kleiner Teil der Menschen, die 35 Versicherungsjahre aufweisen, seien von Altersarmut bedroht. Am stärksten von Altersarmut betroffen sind Langzeitarbeitslose, Selbständige, die nicht ausreichend vorsorgen und Erwerbsgeminderte. Von der Grundrente profitiert keine dieser Gruppen.
Weitere Kritikpunkte, die die Rentenversicherung vorgebracht hat: Für die Grundrente wird nicht unterschieden, ob niedrige Renten auf schlechten Löhnen oder langjähriger Teilzeit beruhen. Und: Bei unverheirateten Paaren ist es schwierig, das Partnereinkommen zu berücksichtigen, was Ehepaare schlechter stellt.
Bei aller berechtigten Kritik lässt sich jedoch auch festhalten: Die Grundrente ist geeignet, ein gesellschaftliches Problem zumindest abzumildern und dem Auseinanderdriften der Gesellschaft wenigstens ein kleines Stück entgegen zu wirken. Für Paketzusteller, LKW-fahrer, Supermarktkassiererinnen, Frisörinnen u.a. bedeutet die Grundrente eine konkrete Verbesserung und erspart ihnen den Gang zum Sozialamt.
Die Grundrente bleibt trotzdem ein Rumdoktern an Symptomen. An den Ursachen ändert sie nichts. Denn niedrige Rentenansprüche sind die Folge von niedrigen Löhnen. Erst ein existenzsichernder Mindestlohn von über 12 Euro, besser abgesicherte Arbeitsverhältnisse und ein stabil hohes Rentenniveau würden die Grundrente überflüssig machen.
Die wirklichen Probleme durch die Alterung der Gesellschaft kommen allerdings erst noch. Denn die heutigen Seniorinnen und Senioren leben länger und ihre Zahl wächst von 2020 auf 2045 von 20 auf knapp 25 Millionen, wohingegen die Zahl der Beitragszahler von 35 auf 32,5 Millionen sinkt. Es droht wachsende Altersarmut. Spätestens wenn all die 40 oder 50-jährigen ins Rentenalter kommen, die unstete Erwerbsbiographien mitbringen oder in prekären Beschäftigungsverhältnissen mit niedrigem Einkommen stecken. Antworten sollte eigentlich die Rentenkommission „Verlässlicher Generationenvertrag“ geben. Doch außer den bekannten Haltelinien ist wenig Erhellendes dabei herausgekommen. Man verhakte sich an den bereits diskutierten Stellschrauben: länger arbeiten, höhere Beiträge, weniger Rente, höhere Bundeszuschüsse, ohne dass ein armutsfestes Rentensystem auch nur im Entferntesten aufschien. Die Rentenreform wurde auf 2026 oder später vertagt. Damit wird ein fairer Lastenausgleich zwischen Jung und Alt durch politisches Zögern immer weiter hinausgeschoben und Raum gelassen für Ängste und Generationenkonflikte. Auch an der Lösungskompetenz der Parteien könnten Zweifel aufkommen. Vertrauen in die staatlichen Rentenkassen ist ein hohes politisches Gut. Norbert Blüm wusste das.